Diese beiden Karten haben mich nicht in Ruhe gelassen — ist es tatsächlich so, dass die Ausschaffungsinitiative dort, wo die Ausländeranteile hoch sind, am ehesten auf Ablehnung stiess? Ein Deutungsversuch mit Hilfe von Voodoo-Kartografie.
Diese Karte mit den Abstimmungsresultaten zeigt: Die Initiative wurde in der Romandie, in den Städten und zum Teil in touristisch geprägten Gebieten (z.B. im Engadin) abgelehnt.
Und diese Karte mit den Ausländeranteilen an der ständigen Wohnbevölkerung zeigt die enormen Unterschiede in der Schweiz: Während in Lausanne-West 42.9% der Bevölkerung aus dem Auslang stammen, beträgt der Ausländeranteil z.B. im luzernischen Entlebuch nur gerade 5.9%. Aber gerade Lausannes Westen hat mit 55.1% Nein die Initiative deutlich verworfen, während das Entlebuch ihr mit 68.9% Ja noch deutlicher zugestimmt hat.
Gibt es also einen statistischen Zusammenhang zwischen Ausländeranteil und den Nein-Stimmen zur Initiative? Zuerst berechnen die Statistiker den Korrelationskoeffizienten, der in diesem Fall 0.347 beträgt, was bedeutet, dass ein gewisser Zusammenhang besteht. (1 steht für einen 100%igen Zusammenhang, -1 für einen 100%igen umgekehrten Zusammenhang, 0 für gar keinen Zusammenhang.) Dann zeichnen sie eine Punktwolke, legen eine Trendlinie hinein und versuchen Kaffeesatz zu lesen. Hier ist die Punktwolke:
Und so liest man diese Punktwolke:
Die roten Linien stehen für den Schweizer Durchschnitt (47.1% Nein zur Ausschaffungsinitiative / 22.4% Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung. Je weiter oben ein Datenpunkt, desto höher der Ausländeranteil — je weiter rechts, desto grösser die Ablehnung der Ausschaffungsinitiative. Die ansteigende Trendlinie besagt, dass je grösser der Ausländeranteil in einem Bezirk ist, desto grösser ist auch der Neinstimmenanteil. Allerdings wirkt diese Trendlinie wenig überzeugend – zu viele Ausreisser und Spezialfälle sind in dieser Punktewolke. Zu vermuten ist deshalb, dass andere Faktoren das Abstimmungsergebnis stärker beeinflusst haben als der jeweilige Ausländeranteil in den 150 schweizerischen Bezirken.
Deshalb noch ein bisschen Voodoo-Kartografie:
Mit dieser statistischen Voodoo-Methode „Ablehnung der Initiative mal Ausländeranteil“ werden zwar die Ausreisser eliminiert und die Karte vermittelt ein eindeutigeres Bild, was aber sicherlich wissenschaftlich nicht korrekt ist. Anyway, die Karte zeigt so etwas wie die Aufnahmebereitschaft der verschiedenen Gegenden der Schweiz gegenüber AusländerInnen. Kurz: Je bleicher das Blau desto xenophober das entsprechende Gebiet.
Deutlich wird das Gefälle von der Romandie und grossen Teilen des Tessins (das trotz hohen Ausländeranteilen mit 61.3% Ja stimmte) zur Deutschschweiz, deutlich wird aber auch das Stadt-Land-Gefälle (Auch Winterthur und Luzern haben die Initiative abgelehnt.) und die Unterschiede zwischen den konservativen Kerngebieten in der Zentralschweiz, im Bernbiet, im Oberwallis und Teilen der Nordostschweiz (v.a. Appenzell-Innerrhoden) und den eher liberalen und offeneren Regionen der Schweiz.
Weniger Voodoo und mehr Wissenschaft bietet des Instituts gfs in Bern. Eine erste Analyse zeigt auch, dass mit steigendem Ausländeranteil und sogar mit steigender Ausländerkriminalität die Zustimmung zur Ausschaffungsinitiative nicht etwa zunimmt, sondern abnimmt. Claude Longchamp vom gfs fragt sich denn auch: Kriminelle AuslaenderInnen: Worüber haben wir abgestimmt? Auf die Frage „Wie viele kriminelle AusländerInnen vor Ort braucht es für ein Ja zur Ausschaffungsinitative?“ antwortet der Politologe und Stadtwanderer in seinem Blog denn auch etwas überspitzt: keine.
Das etwas paradoxe Fazit: Je weniger Probleme eine Region mit AusländerInnen hat, desto grösser die Zustimmung zur Ausschaffungsinitiative.
9. Dezember 2010 um 22:09 Uhr
Dazu habe ich ja…
(wie Sie wissen, Herr T.) meine eigene Theorie. Die kommt unten, denn zuerst hier die News: Heute habe ich mit einem jungen Kollegen, der in einem dunkelgrünen Gebiet aufgewachsen ist, über all das gesprochen. Er sagte:“Das ist ganz einfach. Das ist ein dumpfer Reflex gegen alles Fremde.“ Er schien kein Bedürfnis zu haben, seine „Landsleute“ zu verteidigen.
Bei mir ist es ein bisschen… naja, nicht anders. Aber ich versuche nachzuvollziehen, was da in den Köpfen abgeht. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass man vielleicht mal mit so jemanden diskutieren kann. Als Anschauungsmaterial habe ich nur die Freundin meines Cousins aus dem grünen Gebiet, die Lehrerin ist. Die hat einmal episch von ein paar Kindern aus einer Kosovaren-Familie erzählt, die ihre Schule in milden Aufruhr versetzten. Ich glaube, das Problem ist halt einfach: Es gibt dort ein paar Ausländer, und die kennt dann jeder. Wenn sich so jemand einmal ein bisschen daneben benimmt (und die Konformitätsgrenzen sind eng, besonders für Ausländer) dann wird das sofort herumerzählt, hochgespielt und ist Drama und Klatschthema der Woche. So wird das „Problem“ grösser als es in Wirklichkeit ist. In der Stadt dagegen sieht man Ausländer halt nur im Bus – ausser, man wohnt in einem billigen Wohngebiet (von den Euro-Businessleuten, die auch kein Wort deutsch können und überhaupt nicht integriert sind, in steuergünstigen Reichen-Ghettos wohnen, wohlstandverwarloste Gofen haben und auch niemanden kennen, reden wir hier ja nicht).