Der goldene Herbst führte uns letzte Woche an den Lungernsee, einen Naturstausee im Kanton Obwalden. Die Wanderung von Giswil nach Lungern ist eher kurz, aber abwechslungsreich. Und wie die Bilder zeigen, gab es unterwegs doch einiges zu sehen.

Die Route

Wanderung auf der Via Jacobi von Giswil nach Lungern

Startpunkt unserer Wanderung ist Giswil (1), das mit der Zentralbahn von Luzern aus bequem zu erreichen ist. Der Wanderweg folgt der Giswiler Aa bis in den Talgrund. Dann steigt er ca. 200 Höhenmeter auf eine Geländestufe mit dem Namen Kaiserstuhl (2). Hinter diesem Riegel öffnet sich das Tal für den Lungernsee (3). Während die viel befahrene Brünigstrasse auf der Ostseite des Sees verläuft, schlängelt sich der Wanderweg dem westlichen Ufer (4) entlang. Am Ende des Sees sind die Dundelbachfälle (5) – die beiden Wasserfälle sind sicher nicht die spektakulärsten der Schweiz, aber durchaus sehenswert. Der untere Wasserfall ist in einem Abstecher von nur drei Minuten von der Hauptroute zu erreichen. Lungern (6) schliesslich ist das letzte Dorf im Obwaldner Tal. Der Bahnhof der Zentralbahn liegt oberhalb des Dorfs, denn ab hier überwindet die Zentralbahn eine weitere Geländestufe Richtung Brünig mittels Zahnrad. Doch für uns endet hier die Wanderung.

Der Talgrund (1)

Unterhalb des Schuttfächers ist die Laui kanalisiert. Im Hintergrund links geht’s Richtung Brünig.

Die Kirche von Giswil thront mitten in der Talebene auf einem Hügel.

Die liebliche, sattgrüne Weite des Obwaldner Tals mit dem Alpnachersee und dem Sarnersee endet hinter Giswil relativ abrupt. Abgesehen von der Kirche, die auf einem Hügel mitten im Tal steht, und dem Laui-Schuttfächer, der von Westen ins Tal drängt, ist der Talgrund von Giswil ist topfeben. Während die Umfahrungsstrasse schon in Giswil-Nord in einem Tunnel verschwindet, der Richtung Brünig ansteigt, und die Bahn unmittelbar hinter dem Bahnhof die Geländestufe zum Kaiserstuhl mittels Zahnrad in Angriff nimmt, bleibt der Wanderweg bis hinten im Tal in der Ebene, um dann rasch anzusteigen und zuerst die Strasse zu unter- und dann die Bahn zu überqueren.

Der Blick zurück über das Aaried nach Giswil. Links hinter der orangen Stange der Laui-Schuttfächer.

Die Geländestufe (2)

Im Anstieg auf den Kaiserstuhl wird Frau Frogg von einem ADLER der Zentralbahn überholt.

Herbstlaub im Aufstieg auf den Kaiserstuhl

Auf der 78 km langen Schmalspur-Strecke von Luzern über den Brünig nach Meiringen und Interlaken überwindet die Zentralbahn Steigungen von über 10%. Die Zentralbahn, die 2005 aus dem Zusammenschluss der SBB Brünigbahn und der Luzern-Stans-Engelberg-Bahn entstanden ist, vermarktet mit der BLS und der Montreux-Berner Oberland-Bahn (MOB) die GoldenPassLinie, eine Touristenbahn von Luzern nach Montreux via Interlaken. Die 189 km lange Reise vom Vierwaldstättersee an den Lac Léman dauert fast fünf Stunden und hat einen grossen Haken: Da der mittlere Abschnitt zwischen Interlaken und Zweisimmen Normalspur ist, muss man zweimal umsteigen…

Der Kulturflaneur auf der Betonbrücke über die Brünigbahn fotografiert schneller als sein Schatten.

Deshalb träumten Bahntouristiker lange von einem dritten Gleis zwischen Interlaken und Zweisimmen, so dass die Meterspurzüge auch auf dem 53 km langen Normalspurabschnitt hätten verkehren können. 2006 platzte dieser Traum aus Geldmangel. Stattdessen werden jetzt in Zweisimmen Spurwechselanlagen gebaut, die es ermöglichen, das Rollmaterial umzuspuren — von 1435 auf 1000 mm Spurbreite und umgekehrt. Dank eigens entwickelten Drehgestellen werden bald spurwechselfähige Züge zwischen Montreux und Interlaken verkehren können. Bis auch in Interlaken Umspuranlagen gebaut werden, fahren ADLER von Stadler über den Brünig: ADLER (= Alpiner, dynamischer, leiser, edler Reisezug) heissen die neuen siebenteiligen Zahnradtriebzüge der Zentralbahn.

Föhnlinse über Mittelhorn (3704 m) und Wetterhorn (3692 m) im Berner Oberland

Das letzte noch fehlende Teilstück der A8

Nach etwa eineinhalb Stunden erreichen wir Kaiserstuhl (OW), einen Weiler der Gemeinde Lungern. Die Lage am unteren Ende des Lungernsees ist idyllisch und es ist gerade noch warm genug, um draussen auf der Terrasse des Hotel & Restaurant Kaiserstuhl (ein Betrieb von Sinnvoll Gastro) das Mittagsmenu zu geniessen. Hier treffen Wanderinnen auf Ausflügler, Handwerker auf Durchreisende, Familien auf Töfffahrerinnen. Allerdings der Lärm von der Strasse ist beträchtlich: Im Gegensatz zu Giswil oder Lungern leidet Kaiserstuhl unter dem Durchgangsverkehr auf der Brünigstrasse, denn von Giswil-Süd bis Lungern-Nord wird der gesamte Verkehr auf der A8 (ca. 10’000 Fahrzeuge pro Tag) über die Kantonsstrasse geführt — das fehlende Teilstück der A8 ist 3600 Meter lang, kostet 268 Millionen und ist das letzte noch fehlende A8-Strassenstück in Obwalden. Obwohl ich ein Mittagessen mit weniger Verkehrslärm gut gefunden hätte, bin ich mir nicht sicher, ob der Kaiserstuhl-Tunnel eine gute Sache ist.

Der Stöpsel (3)

Der Mönch im Lungernsee – in der Teichwirtschaft wird das regulierbare Ablaufbauwerk Mönch genannt, wobei Teichwirtschaft im Fall des Lungernsees eine glatte Untertreibung ist.

Haus mit Holzmaske in Kaiserstuhl

Der gigantische Stöpsel (Mönch ist der Fachausdruck) im Lungernsee gehört zum Kraftwerk Unteraa der Elektrizitätswerke Obwalden (EWO) und dient der Regulierung des Seespiegels. Der Lungernsee ist ein Naturstausee, d.h. hinter dem Felsriegel von Kaiserstuhl war schon immer ein See, nur die Höhe des Seespiegels ist seit etwa 1700 ein Politikum. Damals hatten die Lungerer die Idee, mit einem Stollen das Wasser aus dem See abzulassen und so Land für Kartoffeläcker zu gewinnen. Das Dorf war gespalten in die Ablehner und Befürworter der Absenkung, die „Nassen“ und die „Trockenen“. Es dauerte von 1790 bis 1836, bis nach mühevoller Arbeit ein 420 Meter langer Stollen fertiggestellt war und 170 ha Land gewonnen werden konnte (vgl. Wikipedia über den Lungernsee). Doch die Freude der „Trockenen“ dauerte nur 85 Jahre, denn 1921 wurde der See für die Stromproduktion wieder aufgestaut. Im Winter ist seither der Wasserpegel massiv tiefer als im Sommer und es zeigen sich unschöne „Stauseeränder“. Obwohl mit einem immer vollen Stausee mehr Strom produziert werden könnte, wehren sich die EWO gegen eine Veränderung der Lungererseebewirtschaftung, weil im Winter „dreckiger“ Atom- und Kohlestrom zugekauft werden müsste und die Verlagerung der Stromproduktion vom Winter in den Sommer unter dem Strich mehr kostet. Der Seespiegel des Lungernsees ist nach wie vor ein Politikum.


Trailer von „Härdepfel im See — Wie die Lungerer ihren See vertrieben“ (Doku-Spielfilm, 2011, 80 Min., Schweizerdeutsch) von Riodi und Luke Gasser — www.lukegasser.ch

Altes Holzhaus an der Strasse nach Bürglen, einem Weiler von Lungern

Der See (4)

Der Lungernsee — im Sommer ein Postkartenidyll (Blick Richtung Süden mit Wetterhorn im Hintergrund)

Tote Schlange am Wegrand

Dass der Lungernsee nicht immer ein Postkartenidyll ist, zeigt die andauernde Diskussion über die hässlichen Stauseeränder im Winter, aber auch die Geschichte der zwei Leichen, die im Winter 1999 gefunden wurden. Sie waren in Fässer einbetoniert im See versenkt worden. Was der Mörder und seine Gehilfen aber nicht wussten, ist, dass der Seespiegel im Winter massiv abgesenkt wird. So kamen die mafiamässig entsorgten Leichen schneller wieder zum Vorschein als die Täter gedacht hatten. Nachdem die Identität der Fassleichen geklärt war, konnte man auch den Täter und seine Komplizen ausfindig machen und verurteilen. Die Morde, die in Fribourg begangen wurden, hatten aber keinen Bezug zur Mafia, wie ursprünglich vermutet worden war (vgl. NZZ-Online-Artikel vom 16.10.2001).

Der Lungerensee — im Winter eher unansehnlich (Blick Richtung Norden mit Pilatus im Hintergrund)
Wikimedia Commons

Der Wasserfall (5)

Lungern auf der gegenüberliegenden Seeseite

Der untere Dundelbachfall

Bevor wir das südliche Ende des Lungernsees erreichen, sehen wir am gegenüberliegenden Ufer das Dorf Lungern. Am Ende des Sees ist es dann nur ein dreiminütiger Abstecher zum unteren Dundelbachfall, der mitten im Wald eine Felswand runterfällt. Gemäss waterfall.ch beträgt die Fallhöhe 57 Meter, beim oberen Dundelbachfall sind es gar 77 Meter. Obwalden Tourismus handelt die Dundelbachfälle als Geheimtipp — für mich sind es nicht die spektakulärsten Wasserfälle, die ich je gesehen habe, aber der kurze Abstecher hat sich alleweil gelohnt.

Das Dorf (6)

Lungern ist bekannt für seine Bildhauerkunst. In den 1920er Jahren wurde der an der Kunstakademie Rom ausgebildete Holzbildhauer Beat Gasser zum Begründer der Lungerer Schule, deren junge Bildhauer sich später als Künstler selbstständig machten. Ihr Schaffen umfasste vorwiegend sakrale Kunst.

Sogar die Wasserrutsche in der Lungerer Badi ist eine Skulptur.

Es ist ja nicht so, dass Lungern am Arsch der Welt ist, wie der Mundartrocksong im nachfolgenden Youtube-Video suggerieren will. Die 2000-Einwohnergemeinde hat neben einem idyllischen Naturstausee, Wasserfällen, zwei Fassleichen, der Bildhauerkunst und einer wechselhaften Geschichte noch mehr zu bieten:

  • eine Kirche, die 1887 vom hochgehenden Eibach mitgerissen (nur der Kirchturm blieb stehen) und 1893 durch eine neu erbaute Kirche im neogotischen Stil ersetzt wurde,
  • eine Seilbahn ins Ausflugsgebiet Lungern-Schönbühl (mit einer sensationellen Höhenwanderung aufs Brienzer Rothorn), die von 2013 bis 2016 stillgelegt und saniert werden musste und seit der Eröffnung 1961 nun schon den vierten Betreiber hat, und
  • eine weltweit einzigartige Indoor-Schiessanlage Brünig-Indoor, die jährlich über 30’000 BesucherInnen anzieht — nicht, dass ich Schiessanlagen toll finde, aber Schiessen in der Felskaverne ist eine kreative Problemlösung für die sanierungsbedürftigen Obwaldner Schiessstände und reduziert den Schiesslärm.

Lungern Song — Mundartrocksong von unbekannter Band, 2012 auf Youtube hochgeladen von paeddiomlin

Der Lungern Song stammt höchstwahrscheinlich nicht von einer Lokalband, ist doch der Bündner Dialekt des Sängers gut hörbar und rückt der Songtext Lungern und die Lungerer nicht ins beste Licht. Während die Gitarrensoli bestechend gut sind, vermögen die bitterbösen Lyrics nicht immer zu überzeugen, legen aber erstaunlich viel Lokalkenntnis an den Tag, auch wenn es das besungene Café Bijou inzwischen nicht mehr gibt. Lungern ist weltoffener und innovativer als der Song behauptet, aber auch ein bisschen querköpfig, stur und eigen.

⇒ Der Mönch im Lungernsee auf stories & places