In der Region sind die Leserbriefspalten voll von Briefen für oder gegen die Starke Stadtregion Luzern*). In der Volksabstimmung vom 27. November geht es allerdings noch nicht um die Fusion von Luzern mit vier Nachbargemeinden, sondern erst um die Aufnahme von Fusionsverhandlungen. Fällt der Fusionsvertrag unbefriedigend aus, kann man die Fusion in einer zweiten Abstimmung immer noch bachab schicken. Die Ablehnung von Fusionsverhandlungen zum jetzigen Zeitpunkt aber kommt einem Denkverbot gleich.
In Züri-Süd?, meinem Beitrag vom 15.2. zum neuen Raumkonzept Schweiz, habe ich mich gefragt, was die Region Luzern machen kann, damit sie nicht zum gehobenen Wohnquartier Züri-Süd verkommt. Bildquelle: Bundesamt für Raumentwicklung
Luzern ist „Züri Süd“, das südliche Quartier der Metropole Zürich – eine These, mit der ich als Stadtgeograf gerne mal provoziere. Angesichts der vielen PendlerInnen, die täglich mit vollgestopften Zügen nach Zürich zur Arbeit fahren, ist diese These gar nicht so abwegig. Und in anderen Metropolen dieser Welt ist man nach einer Stunde Fahrt mit dem öV immer noch in der gleichen Stadt. Die Schweiz hingegen besteht aus einem engmaschigen Netz von Städten, die zu grösseren urbanen Räumen zusammenwachsen: Das ist neben der Région Lémanique mit Genf und Lausanne und dem Tessiner Städtedreieck Locarno – Bellinzona – Lugano, das zur Metropolitanregion Milano gehört, vor allem der Grossraum Zürich, der sich bis nach Aarau, Olten, ins Baselbiet, nach Winterthur, Schaffhausen, Frauenfeld und im Süden nach Zug und Luzern ausdehnt. Wenn Luzern als Region diesem gewaltigen Sog etwas entgegenhalten will, muss unsere Region zusammenwachsen, stärker werden und ihr wirtschaftliches und kulturelles Potenzial nutzen. Sonst wird die Zentralschweiz über kurz oder lang zur landschaftlich attraktiven Wohnregion für Leute, die in Zürich und Umgebung arbeiten.
Das Luftbild aus Gross-Luzern?, meinem Eintrag vom 5.3. über ein Hochparterre-Sonderheft mit dem Titel „Luzern wird gross“. Es zeigt, wie stark Luzern mit seinen Nachbargemeinden zusammengewachsen ist. Während Littau seit dem 1.1.2010 zu Luzern gehört, stimmen Kriens, Emmen, Ebikon und Adligenswil darüber ab, ob sie in Fusionsverhandlungen mit Luzern eintreten wollen. Quelle des Luftbilds mit Gemeindegrenzen: www.map.geo.admin.ch
Luzern stösst an seine Grenzen. Es hat fast kein Platz mehr für neue Geschäfts- und Wohnhäuser. Wo in Luzern dennoch gebaut wird, verdichtet sich der Stadtraum und weniger rentable Nutzungen werden verdrängt. Gut zu beobachten ist dieser Prozess im neu entstandenen Tribschenquartier. Verdichtung städtischer Räume ist ökologisch sinnvoll, sie reduziert die Zahl derjenigen, die täglich in die Stadt rein- und wieder rausfahren. Problematisch wird Verdichtung dann, wenn für Nutzungen, die weniger rentabel, aber für eine Stadt wichtig sind, kein Platz mehr zur Verfügung steht, wenn z.B. ein Sanitärbetrieb keine geeigneten Gewerbeflächen zu zahlbaren Mieten findet und in die Agglomeration umziehen muss. Auch für kulturelle Nutzungen finden sich in Luzern kaum mehr geeignete Flächen: Für die Boa, die aus einem Wohnquartier verdrängt wurde, entstand mit dem Kulturzentrum Südpol ein Ersatz auf Krienser Boden. Im Tribschenquartier konnte die Stadt für den Wärchhof und den Spielleutepavillon noch Ersatzflächen anbieten, wenn demnächst das La Fourmi und weitere Kulturnutzungen auf dem Frigorex-Areal der dritten Bauetappe weichen müssen, wird das nicht mehr möglich sein. Kriens, Emmen, Ebikon und Adligenswil hingegen haben noch Landressourcen zur Verfügung. Im Gegenzug kann Luzern mithelfen, die Finanzlage dieser Agglomerationsgemeinden (mit Ausnahme von Adligenswil) so zu verbessern, dass die Steuern auf Luzerner Niveau gesenkt werden können – eine echte Win-Win-Situation also.
Wie die Gegner der Fusionsverhandlungen ticken, zeigen diese beiden Abstimmungsplakate der SVP-nahen IG Eigenständig. Dass Luzern auf der Rangliste der grössten Schweizer Städte noch hinter Winterthur auf Platz 7 liegt, zeigt dass der Luzerner Löwe doch eher ein braves Kätzchen ist, das auf Understatement macht. Und die vier Nachbargemeinden als wehrhafte Igel darzustellen, erinnert an den zweiten Weltkrieg (als sich die Schweiz einigelte), hat aber wenig mit einer Stadt zu tun, die funktional eine Einheit bildet und die Probleme gemeinsam angehen müsste.
Die Stadt grösser denken, das bedeutet auch eine Veränderung in den Köpfen. Wer aus Luzern hinausfährt, hat nicht das Gefühl, dass Luzern im Matthof oder Eichhof, in der Allmend, am Seetalplatz, im Maihof oder bei der Hochhüsliweid draussen endet. Im Gegenteil: Die Stadt geht übergangslos in die Agglomeration über. Obwohl Luzern relativ kleinräumig ist, gibt es Leute in Luzern, für die ist schon der Südpol zu weit weg (2.3 km Luftlinie vom Bahnhof), während die Rote Fabrik in Zürich (3.8 km vom Hauptbahnhof) genügend zentrumsnah ist, dass man einen Besuch riskieren kann. Da hilft nur grossstädtischeres Denken, das Luzerns Nachbargemeinden miteinbezieht. Die Fusion von Littau und Luzern war nur der Anfang: Weitere Fusionen müssen folgen, denn Luzern ist keine Kleinstadt mehr, Luzern ist grösser und urbaner als man denkt. Deshalb: Springen wir über unseren Schatten und stimmen den Fusionsverhandlungen zu, auf dass dereinst zusammenwachse, was längst zusammengehört!
*) Nachtrag vom 25.5.2016: Die Zeit war offensichtlich noch nicht reif, die Stadt grösser zu denken: Nach den verlorenen Fusionsabstimmungen in der Agglomeration ist die Starke Stadtregion Luzern wohl für länger vom Tisch. Die Stadt Luzern hat das Projekt beendet — auch die Homepage www.starkestadtregionluzern.ch hat ihren Betrieb eingestellt. Die Starke Stadtregion ist nunmehr nur noch ein abgeschlossenes Projekt der Stadt Luzern.
23. November 2011 um 15:58 Uhr
Hier der Link zu einem Beitrag von Radio DRS im „Echo der Zeit“ vom 22. November 2011 zum Luzerner Fusionsprojekt mit Stimmen von Befürwortern und Gegnern:
Widerstand gegen Luzerns Heiratsabsichten.
30. November 2011 um 10:39 Uhr
Die Abstimmungen am Wochenende zeigten es: Die Zeit ist noch nicht reif für ein Gross-Luzern. Während in Luzern 62.3% für Fusionsverhandlungen votierten, waren in Kriens 67.8% und Ebikon 70.0% dagegen. An der gestrigen Gemeindeversammlung in Adligenswil stimmten gar 93.4% gegen die Aufnahme von Verhandlungen. Nur 42 von den 961 Stimmberechtigten, die in die Tennishalle gekommen waren, stimmten dafür. Je geringer die finanziellen Schwierigkeiten der Nachbargemeinde, desto höher fiel das Nein zur Fusion mit Luzern aus. Auch wenn die Gemeinde Emmen am 11. März 2012 den Fusionsverhandlungen zustimmen würde — die grosse Stadtfusion ist vom Tisch. Schade, denn damit wurde emotional statt rational entschieden und grossstädtischeres Denken im Keim erstickt.
28. Oktober 2018 um 12:41 Uhr
Luzern ist nicht „Zürich-Süd“ und Bern ist nicht „Zürich-West“.
Zürich ist eine (global gesehen) Kleinstadt mit 380 000 Einwohnern, deren Bedeutung innerhalb der Schweiz masslos übertrieben wird.
Weder ist Zürich eine Millionenstadt und die Schweiz ist auch nicht „eine einzige Grossstadt“. Wer das allen ernstes glaubt, war wohl noch nie in einer wirklich grossen Stadt. Bereits auf der Hardbrücke stehend, sieht man in wenigen Kilometern die grünen Hügel jenseits von Zürich und was dazwischen ist, ist jetzt auch nicht weiss wie dicht bebaut. Es reicht, fünf Minuten die Sixth Avenue in Manhattan runterzulaufen, um zu erkennen, dass die Schweiz (ja, auch Zürich) provinziell und ländlich ist. Ist ja auch okay.
Statt dieser ewigen Grosstadt-Phantasien würde ich mir wieder mehr eine realistische Schweizer Städtepolitik wünschen. Luzern ist weder ein Quartier von Zürich, noch eine (schweizer) Grossstadt, sondern einfach die Stadt Luzern. Die Bedeutung Luzerns erwächst m.E. nicht aus seiner Grösse, sondern aus ihrer einzigartigen Schönheit und Charakteristik. Es ist eine Stadt voller ikonischer Bauwerke, dabei quirlig und lebendig, eben auch WEIL ganz viel auf ganz wenig Raum passiert. Wahrscheinlich „städtischer“ als das grössere Winterthur (das übrigens schon früh fusioniert hat) es je sein wird. Aus der Agglo Luzern wird nie eine einheitliche Stadt werden, das muss ja aber auch nicht sein. Was hat denn z.B. die Fusion mit Littau gebracht? Nichts, ich kenne niemanden der Littau als „echten“ Stadtteil Luzerns ansieht, es ist ein Anhängsel im Nirgendwo, ein vergessener Aussenposten.