Das dritte Etappenziel unserer Reise in die Südschweiz war Lugano. Hier erwartete uns ein Tag voller Überraschungen — gut, dass wir uns treiben liessen!

Überraschung: Schnee auf den Tessiner Hügeln

Am Vorabend hatte es gestürmt. Ein garstiges Herbstgewitter hatte die Gassen von Lugano leergefegt und meinen angeschlagenen Knirps endgültig zerstört. Dass es aber so tief runterschneien würde, hätten wir dann doch nicht gedacht!


Die Hügel nördlich von Lugano am 11.10.2013. Gemäss MeteoSchweiz gab es in den Bündner Bergen über Nacht bis zu einem halben Meter Neuschnee…

Und als ich frühmorgens vom Hotelbalkon Richtung Süden blickte, hätte ich nicht gedacht, dass uns ein so schöner Herbsttag erwartete.


Der Ausblick auf den Monte San Salvatore um 6 Uhr 46.

Überraschung: Stromausfall in der S-Bahn

Abends wollten wir Freunde im Mendisiotto besuchen und planten deshalb eine Wanderung mit Ausgangspunkt Mendrisio, doch es kam anders, weil der Strom ausfiel, kaum war der Zug in Lugano abgefahren. Der Lokführer liess die Komposition nach Lugano-Paradiso (1) hinunterrollen, wo er anhielt und die Passagiere aussteigen liess. Die Lautsprecherdurchsagen zur Fortsetzung der Fahrt blieben vage und verhiessen eine längere Wartezeit, so dass wir kurzerhand unsere Pläne änderten, ausstiegen und auf den San Salvatore fuhren.

Zum Vergrössern auf die Karte klicken! Unsere geänderte Wanderroute führte uns vom Monte San Salvatore über das Künstlerdorf Carona und einen bewaldeten Hügelzug nach Morcote, dem Inbegriff des Tessins. Variante: über den Höhenweg zur Alpe Vicania wandern und den steilen Treppenweg nach Morcote runtersteigen. Anreise von Lugano-Paradiso mit der Standseilbahn (gelb) auf den Monte San Salvatore, Rückreise von Morcote mit dem Schiff nach Lugano oder mit dem Postauto nach Melide und weiter mit dem Zug. Charakter: mittlere Hügelwanderung abwärts, Dauer: etwa 3 Stunden. Quelle der Basiskarte: map.geo.admin.ch

Überraschung: Frau mit Schleier

Ein bisschen überrascht und einigermassen irritiert war Frau Frogg, als wir in der Bergbahn auf den San Salvatore (2) auf eine orientalische Frau mit Schleier trafen — hatte doch zwei Wochen zuvor der Tessiner Souverän mit 65.4% Ja ein Burkaverbot gutgeheisssen. Diese Verfassungsänderung muss allerdings auch noch von den Eidgenössischen Räten abgesegnet werden.



Die Standseilbahn auf den San Salvatore — Talstation und Bahn.

Überraschung: Schöne Plakate auf dem Berg

Am Weg von der Bergstation zum Gipfel (2) zeigt die Dauerausstellung „Die Schweiz ein Wassererlebnis“ 32 alte touristische Plakate aus den Jahren 1885 bis 1950: Schöne alte Plakate faszinieren mich — so auch diese touristischen Werbeplakate.




Von oben links nach unten rechts: Werbung fürs Bergell (1900) von Giovanni Giacometti, für den Lago di Lugano (1885), für Locarno, den Vierwaldstättersee und Lugano-Lido (alle 1928), für schöne Autofahrten und verbilligtes (!) Touristenbenzin (1939) und die Alpenposten der PTT (1937) — Tourismusgeschichte anhand von Tourismusplakaten.

Überwältigend: das Panorama

Der Rundblick vom Monte San Salvatore (2) war überwältigend, weil das Wetter und die Sicht viel besser waren, als wir am Morgen noch erwarten konnten:


Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Der Tessiner Zuckerhut ist fast rundherum von einem See umgeben ist: vom Lago di Lugano. Im Südosten der Hügelzug Richtung Morcote, im Westen rechts vom Kommunikationsmasten das Seebecken von Agno, eine Hügelkette weiter hinten der Lago Maggiore, im Norden Lugano und das Tal Richtung Ceneri, die schneebedeckten Bergrücken des Monte Lema und des Tamaro, im Osten neben Lugano der Monte Brè, der See-Arm Richtung Porlezza und die italienische Exklave Campione, im Südwesten der Monte Generoso, der Damm von Melide und die Po-Ebene.

Überraschung: das Pilzrisotto im Grotto

Nach einem relativ steilen Abstieg erreichten wir den Weiler Ciona (3). Es war Zeit fürs Mittagessen, das Grotto hatte offen und servierte an den Steintischen der Gartenbeiz ein Pilzrisotto, das ausgezeichnet schmeckte.



Von der Rückseite sieht der Monte San Salvatore weniger imposant aus. Und das Grotto in Ciona kam uns grad recht…

Keine Überraschung: ein schmuckes Dorf

Dass das Künstlerdorf Carona (4) ein wahres Schmuckstück ist, war für mich keine Überraschung, denn vor Jahrzehnten war ich hier zweimal in den Sommerferien. Aber auch Künstlerpersönlichkeiten wie Meret Oppenheim, Kurt Kläber und Lisa Tetzner, Maria Braun, Hermann Hesse und nicht zuletzt Bertolt Brecht fanden Gefallen am schmucken Tessinerdorf hinter dem San Salvatore und verbrachten hier viel Zeit.


Aus irgendeinem Grund habe ich in Carona keine Bilder gemacht, deshalb hier stellvertretend ein Bild von www.carona-tourism.ch.

Unser Weg führte uns am Grab von Meret Oppenheim (1913 – 1985) vorbei, die auf dem Friedhof von Carona beerdigt ist. Auf Vimeo habe ich einen englischsprachigen Ausschnitt aus „IMAGO Meret Oppenheim“, einem Künstlerinnen-Portrait (CH 1988, 16 mm, Farbe, 90 Min.), gefunden, der ganz am Anfang eine kurze Filmsequenz aus Carona zeigt:


IMAGO Meret Oppenheim by Pamela Robertson-Pearce & Anselm Spoerri (extract) hochgeladen von Bloodaxe Books auf Vimeo.

Überraschung:
Stille Kirche mitten im Wald

Hinter dem weitherum bekannten Freibad von Carona, das im Sommer sogar Gäste aus Norditalien anzieht, befindet sich mitten im Wald eine stille Kirche: Santa Maria d’Ongero (5). Die 1624 erbaute Barockkirche wurde wegen eines mirakulös erhalten gebliebenen Marienbilds aus der früheren Kapelle zu einem Wallfahrtsort. Inzwischen ist es um die Kirche im Wald wieder still geworden…

Überraschende Aussichten

Der Weg führt allmählich hinab nach Morcote. Im lichten Wald (6) waren immer wieder der Lago di Lugano und das gegenüber liegende italienische Ufer zu sehen:


Überraschungen im lichten Wald

Wenig überraschende Tessiner Ikone

Morcote (7), die am Ende der Halbinsel gelegene „Perle am Luganer See“, ist der tausendfach abgelichtete Inbegriff eines Tessiner Dorfs und deshalb nicht wirklich überraschend, aber immer noch attraktiv, wenn auch von parkierten Autos zugestellt:



Impressionen aus Morcote

Überraschung: Das Postauto kommt doch noch!

Wenn nicht noch andere Leute an der Haltestelle herum gestanden wären, hätten wir die Hoffnung, dass das Postauto doch noch fährt, aufgegeben. Doch mit einer für die Schweiz unüblichen Verspätung von fast einer halben Stunde brachte uns der postgelbe Bus nach Melide (8):

Der Damm von Melide ist ein verkehrstechnisches Nadelöhr: Auf engstem Raum führen Bahn, Strasse und Autobahn auf die andere Seite des Lago di Lugano.

Fazit: Eine überraschender Tag mit einer schönen Wanderung, die so nicht geplant war, bei unerwartet schönem Wetter.

Der Monte San Salvatore (912 m.ü.M.)
auf der Kulturflaneur-Karte