Bevor wir vorgestern zum Muttertagsessen aufbrachen, habe ich auf unserem Balkon eine Leiche gefunden: einen toten Maikäfer. Seit zwölf Jahren ist das der erste Maikäfer, den ich zu Gesicht bekomme. Ich hatte schon vermutet, diese gefrässigen Viecher seien ausgestorben.

Das waren noch Zeiten, als Max & Moritz mit Maikäfern noch Streiche anstellen konnten, als man sie noch röstete und zu Maikäfersuppe verarbeitete (Man nehme gemäss Rezept 30 Maikäfer pro Person…) und sie in Konditoreien verzuckert oder kandiert als Nachtisch zu haben waren. (vgl. Wikipedia)

In meiner Schulzeit hatten Maikäfer noch den Ruf einer Landplage, die wie Heuschrecken ganze Landstriche kahl fressen würden. Mir ist, dass wir als Schüler noch aufgefordert wurden, gegen ein kleines Sackgeld Maikäfer einzusammeln. Einsammeln und töten ist allerdings harmlos gegen die Bekämpfung mit DDT, das in den 50er und 60er Jahren die Maikäfer dezimierte und inzwischen verboten ist. Schon 1974 besang Reinhard Mey seinen „entfernten Namensvetter“ in einem Lied und bedauerte, dass es die Maikäfer, die er früher noch gesammelt hätte, nicht mehr gebe:

Reinhard Mey: Es gibt keine Maikäfer mehr (Youtube-Video vom Live-Album „20.00 Uhr“ von 1974)

Maikäfer haben alle drei Jahre Flugjahre, in denen sie gehäuft auftreten. Die Flugjahre sind in der Schweiz je nach Region unterschiedlich. Im Bündnerland beispielsweise war gemäss Südostschweiz letztes Jahr im Domleschg, im Rheintal und im Prättigau ein Flugjahr, während heuer in der Surselva und im Unterengadin die Maikäfer fliegen (diese Gebiete gehören zum Urner Flugjahr). Und so werden die Flugjahre berechnet:

  • Quersumme geteilt durch 3, Rest 0: Basler Flugjahr (2007, 2010, 2013).
  • Quersumme geteilt durch 3, Rest 1: Berner Flugjahr (2008, 2011, 2014).
  • Quersumme geteilt durch 3, Rest 2: Urner Flugjahr (2009, 2012, 2015).

Dieses Jahr ist also ein Urner Flugjahr, doch eine verirrte Leiche auf unserem Balkon ist noch keine Plage. Etwas anders war das vor zwölf Jahren, als wir in den Sommerferien über den Gotthard wanderten: Entlang der Reuss zwischen Flüelen und Amsteg waren ganze Büsche kahl gefressen — das Urner Flugjahr war augenfällig.

Als wir Frau Froggs Eltern vom toten Maikäfer erzählten, erinnerten sie sich, dass in ihrer Kindheit in den 40er und 50er Jahren jede Familie eine bestimmte Menge Maikäfer an einer Sammelstelle abliefern musste. Andernfalls drohte eine Busse. Papa Frogg wusste noch genau, wie sie in der Früh Drillich-Tücher unter den Bäumen auslegten und die schlafenden Käfer runterschüttelten. Dass Maikäfer sammeln damals eine Pflicht war, bestätigt auch eine Anekdote von Susi Ruchti im Thuner Tagblatt.

Dass das Urner Flugjahr auch am südbadischen Kaiserstuhl gilt und dass mit dem Maikäfer nach wie vor zu rechnen ist, zeigt ein Artikel in der Badischen Zeitung: Fachleute prognostizieren einen bekämpfungswürdigen Käferflug. Die Behörden am Kaiserstuhl planen den Einsatz von Hubschraubern, um die Waldränder mit dem Insektizid Neem Azal TS zu besprühen. Der in diesem Frassgift vorhandene Wirkstoff Azadirachtin könne auch die Larven der Honigbiene beeinträchtigen und sei deshalb nicht ungefährlich, warnt ein Kommentator. DDT lässt grüssen!