Letzte Woche haben wir ein neues Wanderprojekt gestartet: einmal rund um den Vierwaldstättersee. Zugegeben, die Idee ist weder neu, noch besonders originell: Die Wanderroute existiert schon seit 1991, dem 700-Jahr-Jubliäum der Eidgenossenschaft, wird aber im Rahmen vom Gästival — 200 Jahre Gastfreundschaft in der Zentralschweiz neu lanciert und ist für uns logistisch relativ einfach zu bewältigen: Wir fahren dahin, wo die letzte Etappe aufgehört hat, und nehmen die nächste Etappe in Angriff. Unsere erste Etappe führte von Luzern nach Küssnacht. Zu sehen gab es: Hotelpaläste und Quaianlagen, einen Sandstrand und einen Laubsägelipalast, ein umstrittenes Golfplatzprojekt sowie Einfamilienhüsli en masse und in allen Grössen.
Stichwort 1: Gästival
Im Superjubiläumsjahr 2015 feiert die Schweiz 700 Jahre Schlacht bei Morgarten, 600 Jahre Vertreibung der Habsburger aus dem Aargau, 500 Jahre Niederlage der Eidgenossen bei Marignano, 200 Jahre Wiener Kongress (Die Kantone Genf, Neuenburg und Wallis kamen zur Eidgenossenschaft und die Schweiz bekam ihre heutige Form. Ihre Unabhängigkeit und Neutralität wurde international anerkannt.). Die Innerschweiz hingegen feiert 200 Jahre Gastfreundschaft — mit einem Gästival — was für eine schreckliche Wortschöpfung!
Die Zentralschweizer Gastfreundschaft hatte vor 200 Jahren keinen fulminanten Start, denn beide Gasthäuser, die am Anfang der touristischen Erschliessung der Zentralschweiz standen — das Berggasthaus Rigi-Kulm und das Seehotel „Goldener Adler“ in Küssnacht, wurden erst 1816 eröffnet. Zwar war das Gasthaus auf der Rigi das erste Berghotel in der Schweiz und markiert die „Geburtsstunde der alpinen Hotellerie“, aber konkretere Auswirkungen hatte wohl die Aufhebung der Kontinentalsperre nach dem Ende der Napoleonischen Kriege, die es den abenteuerlustigen Briten erlaubte, wieder den Kontinent zu bereisen und die Zentralschweiz zu entdecken. Der Tourismus begann also nicht mit einem Urknall, sondern schleichend, und der Zeitpunkt dieses Jubiläums ist vielmehr ein Zeitraum.
Bemerkenswert hingegen ist, dass die fünf Kantone um den Vierwaldstättersee, die oft divergierende Interessen verfolgen, für einmal mit den Tourismusorganisationen, den Kulturschaffenden und der Wirtschaft zusammenspannen, um ein gemeinsames Projekt zu realisieren. Im Zentrum des Tourismusfestivals steht oder vielmehr schwimmt eine Eventplattform in Form einer Seerose mit einem vielfältigen Programm. Darum herum gruppieren sich verschiedene Jubiläumsprojekte (Waldstätterweg, Jubiläumsfest, Aufarbeitung der Tourismusgeschichte etc.) sowie Dutzende kleiner Projekte und Anlässe, die im Rahmen einer Mitmachkampagne entstanden sind.
Mit 200 Jahre Tourismus und dem Gästival setzt sich auch die aktuelle Ausgabe von 041 — das Kulturmagazin auseinander: In einem lesenswerten Text mit dem Titel „Unerträglich schön: die unkaputtbare rosa Fabrik“ stellt sich der Historiker Valentin Groebner die Frage, warum es beim Tourismus immer ums Echte geht und dabei das Künstliche herauskommt, wie aktuell beim Gästival, einem neuen Höhepunkt der Künstlichkeit. Die Kultur sei ein wichtiges und kostspieliges Schmiermittel fürs Gästival, stellt Pirmin Bossart in einem weiteren Artikel fest, um dann der Frage nachzugehen, ob Kulturgelder für mehr Gastfreundschaft missbraucht werden und was man sonst mit den 8.2 Millionen, die fürs Gästival aufgewendet werden, hätte anstellen können.
Für uns ist das Gästival ein Anlass, um den Vierwaldstättersee zu wandern — ganz individuell im Uhrzeigersinn:
Es ist nicht das erste Mal, dass wir von Luzern nach Küssnacht wandern, vgl. mein Eintrag über die Expedition in die Agglomeration, aber zum ersten Mal auf der offiziellen Route, der 3. Etappe des Waldstätterwegs (Routenbeschrieb). Da wir aber an diesem wunderschönen Frühlingstag auch eine Bluestwanderung machen wollen, halten wir uns nicht an die offizielle Route, die übers Meggerhorn nach Meggen führt, sondern steigen nach der Seeburg übers Salzfass aufs Bächtenbühl, ein Hochplateau zwischen Luzern und Meggen. Hier gibt es noch zahlreiche wunderschöne Hochstamm-Obstbäume, die am Erblühen sind. Hier gibt es aber auch ein Golfplatzprojekt, das jahrelang umstritten war und wahrscheinlich dieses oder nächstes Jahr realisiert wird. Ob die Hochstämmer auch nach dieser „Privatisierung der Landschaft“ stehen bleiben und die Bluescht-Wanderer erfreuen, ist mir nicht klar.
Stichwort 2: Golfplätze und Landschaftsschutz
In Meggen, der Luzerner Goldküste, war das Golfplatzprojekt und damit verbundene Zonenplanänderung heftig umstritten, aber nach zwölf Jahren Hin und Her sind die notwendige Zonenplanänderung rechtskräftig und die Beschwerden gegen den Gestaltungsplan abgewiesen. Die landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft kann also in eine freizeitindustriell genutzte Golflandschaft umgestaltet werden. Das Bächtenbühl ist schon lange keine Naturlandschaft mehr, sondern eine Kulturlandschaft, die an die Erfordernisse der Landwirtschaft angepasst worden war. Mit der Umgestaltung in eine 9-Loch-Anlage mit Pay-and-play-Betrieb, Driving-Range, Pitch-and-put-Anlage und öffentlichem Restaurant wird die Landschaft noch etwas künstlicher.
Auf ihrer Homepage listen die Golfplatz-Initianten die Vorteile ihres Projekts auf: „Grüngürtel: Zwischen Stadt Luzern und Megger Oberland entsteht ein attraktives Naherholungsgebiet für alle.“ Will heissen: Der Grüngürtel war schon immer für alle da, wird nun aber durch die Golfanlage in Wert gesetzt und auch für die GolferInnen zu einem attraktiven Naherholungsgebiet. „Biodiversität: Ungedüngte Wiesen und extensive Bewirtschaftung erhöhen die Artenvielfalt von Flora und Fauna.“ Will heissen: Zwischen akkurat geschnittenen Rasenflächen gibt es auch noch ein paar Heuwiesen, die nicht so intensiv gepflegt werden. „Frische Luft: Es fallen 400 Mastschweineplätze in zwei Betrieben weg und damit die bisherigen Geruchsemissionen.“ Will heissen: Für die Bauern rentiert der Golfplatz mehr als die Schweinemast — und gibt erst noch weniger zu tun. „Neues Wegnetz: Panoramaweg mit Aussichtspunkten auf die Stadt.“ Will heissen: Wanderer werden in Zukunft um den Golfplatz herumgeführt, damit sie nicht von verirrten Golfbällen getroffen werden. „Ökologische Ausgleichsflächen: Auf dem geplanten Golfplatz sind mehr als 50 Prozent ökologische Ausgleichsflächen vorgesehen. In der Landwirtschaft sind heute nur 7 Prozent Bedingung.“ Will heissen: Das ökologische Gewissen der GolferInnen, die mit grösstenteils mit dem Auto kommen, kann beruhigt werden, auch wenn für sie 100 neue Parkplätze entstehen und auf dem lokalen Verkehrsnetz mit 3 – 5% Mehrverkehr gerechnet werden muss.
2012 hat die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz hat zum Thema Golfplätze und Landschaftsschutz eine Studie (PDF) verfasst. Zusammenfassend schreiben die beiden Autoren: „Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz anerkennt die Anstrengungen der Initianten, Golfplatzarchitekten und Behörden, Golfanlagen naturnaher und die vorhandene Landschaft besser berücksichtigend zu gestalten. Dennoch steht die SL einer weiteren starken Expansion der Golfplätze kritisch gegenüber. Solange die heutigen Plätze teilweise keine Warteliste für Neumitglieder aufweisen, erscheint der Bedürfnisnachweis für neue Plätze nicht gegeben. Nach Ansicht der SL sind neue Golfanlagen in naturnahen Landschaften und Kulturlandschaften zu vermeiden, denn sie würden zu einer Verarmung dieser Landschaften beitragen. Golfanlagen in monotonen Landschaften können hingegen durchaus eine Bereicherung sein, jedoch müssen die Anliegen der Schonung der Landschaft bei der Interessensabwägung stärker gewichtet werden als dies heute der Fall ist.“
Das Bächtenbühl ist jedenfalls alles andere als eine monotone Landschaft.
Vom Golfplatzprojekt führt unsere Wanderung weiter nach Meggen, wo wir eine Mittagspause machen, und dann auf drei Viertel Höhe zwischen See und Meggerwald dem Hang entlang, über Tschädigen und Merlischachen nach Küssnacht am Rigi. Von anderen Wanderungen weiss ich: Die offizielle Route des Waldstätterwegs übers Meggerhorn nach Meggen (statt unserer Golfplatzvariante) ist zwar weiter, aber auch sehr schön, weil sie in Ufernähe verläuft. Ebenfalls empfehlenswert ist die offizielle Route über das lauschige Wagemoos im Meggerwald (vgl. Expedition in die Agglomeration) statt unserer Direttissima über asphaltierte Strässchen, die sich mehr für einen Bike-Ausflug eignen. Endpunkt unserer ersten Etappe unserer Wanderung rund um den Vierwaldstättersee ist der Bahnhof von Küssnacht am Rigi (Rückfahrt mit dem Voralpenexpress oder der S-Bahn). Die nächste Etappe führt dann durch die hohle Gasse und Greppen nach Weggis und allenfalls weiter nach Vitznau.
28. April 2015 um 21:08 Uhr
Schönes Projekt! Ich hoffe, ihr meldet euch, bevor ihr hier vorbeikommt!
Übrigens: Ich selbst plane für den 1. Mai eine Wanderung-bei-jedem-Wetter von Greppen bis Gersau. – Oder vielleicht dann auch nur bis Vitznau. – Oder sogar nur bis Weggis. – Oder allerschlimmstenfalls bis Hertenstein. Je nach Niederschlagsmengen…
1. Mai 2015 um 9:33 Uhr
Ich wünsche Dir eine schöne und möglichst trockene Erstmaiwanderung. Und: Danke für die Einladung — wir melden uns, wenn wir so weit sind!