Für gestern stellte der Wetterbericht gute Fernsicht in Aussicht. Wenn das dann auch noch an einem Altweibersommer-Wochenende passiert, kann man Gift darauf nehmen, dass die Bergbahnen voll und die Bergbeizen übervoll sind. Als Panoramafan liess sich der Kulturflaneur aber von solchen Aussichten nicht abschrecken und folgte dem Ruf der Berge.

Schon an der Schifflände ergreifen mich Zweifel, ob es wirklich eine schlaue Idee ist, auf die Rigi zu fahren. Das Schiff nach Vitznau (1) ist so voll, dass ich mich entschliesse, in die 1. Klasse zu wechseln, wo ich wenigstens einen Sitzplatz, Kaffee und Gipfeli bekomme. Die Zahnradbahn nach Kaltbad (2), dem Ausgangspunkt meiner Panoramawanderung, ist auf den letzten Platz gefüllt. In meinem Wagen nimmt — sehr zur Freude der asiatischen TouristInnen — ein ganzer Trachtenverein Platz. Auf der Bergfahrt kommen wir schon bald in den Nebel. Und dann folgt das Ah und das Oh der Mitreisenden, als wir bei der Station Freibergen (1018 m.ü.M.) aus dem Nebelmeer auftauchen und sich über uns ein wolkenlos blauer Himmel auftut. Schon habe ich das erste Mal das Gefühl, doch das Richtige zu tun. Im Kaltbad angekommen, verliere ich keine Zeit, das neue Hotel zu besichtigen, sondern mache mich gleich auf die Socken, um den Massen zu entfliehen.


Zum Vergrössern auf die Karte klicken! Anreise: Mit dem Schiff nach Vitznau (1) und der Vitznau-Rigi-Bahn nach Kaltbad (2). Wanderung auf dem ehemaligen Bahntrasse (ausgezogene, türkisfarbene Linie) auf die Rigi-Scheidegg (9). Türkis gestrichelt sind Varianten: der Felsenweg (3 – 4) sowie die „Direttissima“ auf die Scheidegg (8 – 9). Dauer: etwa 2 Stunden. Höhenunterschied: ca. 220 Meter. Charakter: Leichte Wanderung. Rückfahrt: Mit der Luftseilbahn Kräbel-Rigi Scheidegg runter zur Talstation Kräbel (10) und mit der Arth-Goldau-Rigi-Bahn nach Arth-Goldau (11), wo an der Endstation der ARB nach wie vor gebaut wird. Deshalb muss man die letzten 300 Meter bis zum Bahnhof der SBB zu Fuss gehen. Quelle der Basiskarte: map.geo.admin.ch

Meine Hoffnung bestätigt sich: Schon ein paar Schritte abseits der Bahn sind weniger Leute unterwegs. Ich bin zwar auch hier nicht alleine, aber es ist erträglich. Ausserdem ist die Rigi gross genug, dass sich die Massen verteilen. Ein paar Anmerkungen zur Wanderung:

  • Der Wanderweg ist ein ehemaliges Bahntrassee. Die Rigi-Scheidegg-Bahn wurde 1874/75 fertiggestellt und führte vom Kaltbad auf die Scheidegg. Sie kam wirtschaftlich nie auf einen grünen Zweig und stellte 1931 schliesslich ihren Betrieb ein. Als Adhäsionsbahn konzipiert, schlängelt sich das Trassee den Bergflanken entlang und überwindet die 200 Höhenmeter in einer stetigen Steigung. Überall finden sich Überbleibsel und Spuren der ehemaligen Bahn: Dämme, Brücken und sogar ein 70 m langer Tunnel (7). Als Ferienhaus umgebaut, steht Wagen Nr. 7 neben dem Wanderweg. Die Kunstbauten werden zur Zeit saniert — was für ein Land, wo sogar stillgelegte Bahnlinien nicht einfach verfallen, sondern saniert werden. Der eiserne Viadukt bei Unterstetten (5) ist allerdings wirklich sehenswert. Das Stationsgebäude Rigi-Scheidegg (9) schliesslich diente lange als Lagerhaus, ist aber heute ein Ferienhaus.
  • Sehr empfehlen möchte ich den Felsenweg. Vom First (3) führt der imposante Weg durch eine Nagelfluhwand zu „Hinderem Schild“ (4). Die Aussicht aus der Wand auf den Vierwaldstättersee und das Bergpanorama ist wirklich eindrücklich. Der Felsenweg ist ausgesetzt, aber überall mit Geländern gesichert. Im Winter ist der Weg gesperrt, weil zu gefährlich. Das ehemalige Bahntrassee ist hingegen auch im Winter ein schöner Wanderweg, wenn auch etwas schattig. Wenn’s Schnee hat, ist er auch eine Loipe und ein Schlittenweg für pferdegezogene Schlitten.
  • Das Restaurant Unterstetten (5) ist traumhaft gelegen: Die Aussicht von der Terrasse über den Felsen ist wirklich schön. Im Schatten unter den Platanen lässt sich’s gut und günstig währschaft essen und trinken. Für mich gibt’s Älplermagronen und einen trüben sauren Most. Natürlich kann man an einem solchen Grosskampftag mit guter Fernsicht wie gestern Samstag nicht erwarten, dass man einen Tisch für sich hat. Trotz grossem Ansturm ist der Service nett und die ganze Familie hilft mit, damit sich das Chaos in Grenzen hält.
  • Nach dem Mittagessen ist dann auch noch Alpabzug (6): Kaum bin ich wieder unterwegs Richtung Rigi-Scheidegg kommt mir ein Kuhherde mit wunderschön zurecht gemachten Kühen entgegen, leider an einer schattigen Ecke (6), was wegen der grossen Kontraste schlecht fürs Foto ist. Schlecht für die Ohren sind die grossen Kuhglocken, auf die die Besitzer sicher stolz sind — zusammen sind sie so unglaublich laut, dass Frau Frogg ihr Hörgerät mit Sicherheit abgestellt hätte. Gemäss einer ETH-Studie, die auch im Blick kolportiert wurde, sind Kuhglocken so laut wie Presslufthämmer (100 bis 113 Dezibel) und haben negative Auswirkungen aufs Fressverhalten der Kühe. Aber: Kühe tragen diese grossen, lauten Glocken nur beim Alpauf- und -abzug — was tut man nicht alles für die Schönheit!
  • Nach dem Tunnel (7) führt der Wanderweg zu einer Senke (8) zwischen Dossen und Scheidegg (9). Hier hat man die Wahl zwischen weiterhin stetig steigendem Bahntrassee und der Direttissima, die auf dem Rücken der Scheidegg mehr Aussicht bietet. Für den höchsten Punkt haben sich die Touristiker etwas Besonderes einfallen lassen: eine Arche mit 360° Rundsicht — für mich die Gelegenheit ein 360°-Panorama aufzunehmen!
  • Das Panorama auf der 360°-Arche Rigi-Scheidegg: Gute Fernsicht!

    Fazit: Wenn die Fernsicht gut ist, sind Schiffe, Bahnen und Bergbeizen voll. Diese leichte Panoramawanderung ist zwar kein Geheimtipp, aber eine gute Möglichkeit, die Sicht in die Alpen auch bei guter Fernsicht geniessen zu können.