Schon länger versuche ich mir vorzustellen, wie es wird, wenn die Spange Nord, eine vierspurige Autobahnausfahrt, dereinst unser Quartier durchschneidet. Nun haben sich die Grünen an die Arbeit gemacht, die abstrakten Pläne des Kantons genau studiert und auf www.spange-nord-nein.ch visualisiert. Gemäss Kanton Luzern sind diese Visualisierungen realistisch — doch sie übertreffen meine schlimmsten Albträume. Da wird jeder und jede zum NIMBY!

Über Luzerns tagtäglichen Verkehrsinfarkt, die Denkfehler der Planer und unnützen Rezepte der Verkehrsdoktoren habe ich schon vor fünf Jahren in Stau am Sedel geschrieben. Inzwischen haben die kantonalen Autobahnplaner ein Vorprojekt für den Bypass und die Spange Nord vorgelegt und auf Grund der Vernehmlassung überarbeitet. Und so sieht’s aus:

Die Spange Nord aus der Vogelperspektive: Links die Autobahnverzweigung Emmen-Süd, wo die A14 von Zürich – Zug in die A2 von Basel – Olten einmündet. Weiter rechts dann der oben erwähnte Sedel (grüne Flächen). In der Bildmitte dann der Rotsee, die geplante Spange Nord und unser Wohnquartier. Ganz rechts dann Luzerns Altstadt und der Vierwaldstättersee. Gut zu sehen ist, wie die Reuss in einem grossen Bogen immer dem Bildrand entlang fliesst.

In Emmen-Süd besteht bereits eine Autobahnausfahrt, die über den Stau am Sedel und den Rotsee in unser Quartier und die Stadt Luzern führt. Ebenfalls in Emmen-Süd würde der geplante Bypass vierspurig in den Untergrund abtauchen und den Transitverkehr auf der A2 (Basel – Luzern – Gotthard – Chiasso) an Luzern vorbeischleusen. Die bestehende A2, die der Reuss entlang und durchs Reussport-Tunnel ins Stadtzentrum und von da durchs Sonnenberg-Tunnel nach Kriens führt, wollen die kantonalen Verkehrsplaner in eine Stadtautobahn umbauen und im Lochhof mit der Spange Nord verknüpfen, die als Autobahnzubringer dienen würde. Bypass, Stadtautobahn, Spange Nord sowie flankierende Verkehrsmanagementmassnahmen sollen das innerstädtische Verkehrsnetz vom Agglomerationsverkehr entlasten.

Das Quartier wird dannzumal nicht mehr Luegisland,
sondern Lueg-uf-d-Auto heissen.

Die 1.8 km lange Spange Nord würde von der Fluhmühle über die Reuss zur bereits fertig gestellten, aber noch nicht in Betrieb genommenen Autobahnanschluss Lochhof führen und von da an Friedhof und Kantonsspital vorbei quer durch unser Quartier bis zum Schlossberg.

Dabei gehen sie von der Annahme aus, der Verkehr nehme weiter zu, und vergessen dabei erstens: Wer Strassen baut, wird Verkehr ernten. Das heisst: Die Entlastungen in der Innenstadt, die durch den Bau von Bypass und und Spange Nord möglich werden, verpuffen bald, weil es durch die Verflüssigung des Verkehrs wieder attraktiver wird, mit dem eigenen Auto in die Stadt zu fahren, und sich die entstandenen Lücken — in einem System kommunizierender Röhren — rasch mit mehr Verkehr auffüllen. Zweitens: Der grösste Teil des Stadtverkehrs ist Ziel- und Quellverkehr, da macht es wenig Sinn, diesen Verkehr via Spange Nord auf die rezyklierte Stadtautobahn zu leiten, wenn der Ausgangspunkt oder das Ziel das so oder so überlastete Stadtzentrum ist — pumpt man da mehr Verkehr rein, ist der Gridlock (Stillstand auf Grund von Verkehrsüberlastung) programmiert.

So würde die Spange Nord unser Quartier zerschneiden: Bei der Bushaltestelle Rosenberg (Bildmitte) werden 2030 — gemäss Prognose der Verkehrsplaner — zur Abendspitze über 3000 Fahrzeuge pro Stunde oder 50 pro Minute vorbeifahren…

Stopp, so nicht!

Luzern muss etwas unternehmen gegen den alltäglichen Verkehrskollaps, aber bitte nicht so, wie die kantonalen Verkehrsplaner sich das vorstellen! Es ist schlecht für den öV, dass die VBL-Busse morgens und abends im Verkehr stecken bleiben — sie sollen gegenüber dem motorisierten Individualverkehr (mIV) konsequenter bevorzugt werden. Und insgesamt darf das Pendeln nicht noch attraktiver werden, denn das verschlimmert die Verkehrsprobleme in den Städten und führt zur „Verhüselung“ immer grösserer Gebiete im Schweizer Mittelland. Deshalb muss der mIV mit intelligenten Massnahmen (wie z.B. Mobility Pricing) reduziert werden. Autofahrten in die Stadt sollen teurer und unattraktiv werden. Genau das Gegenteil bewirken Bypass, Stadtautobahn und Spange Nord: Sie erhöhen die Kapazitäten der Zufahrtstrassen und den Druck aufs innerstädtische Verkehrssystem — und das auf Kosten unseres Quartiers, das durch diese monströse Schneise zerstört wird.

«Dass wir die Visualisierungen veröffentlichen,
ist noch keine Provokation. Aber das Resultat ist provozierend.»
Der Grüne Kantonsrat Urban Frye
zur Luzerner Zeitung, 12.4.2018

Mich provozieren diese Visualisierungen tatsächlich — sich machen mich zum NIMBY (Not In My Back Yard — Nicht in meinem Hinterhof). Diese englische Abkürzung hat einen schalen Beigeschmack, weil sie für Leute steht, die nicht ans grosse Ganze, sondern nur an ihre unmittelbare Umgebung denken. Angesichts der Tatsache, dass diejenigen, die das grosse Ganze im Auge behalten sollten, unser Wohnquartier zerstören wollen, ist mir das aber egal. Ich werde mich — wie es sich für einen NIMBY gehört — gegen diese monströse Verkehrsschneise wehren!

So sieht’s aus: Mit der geplanten Spange Nord wird der Schlossberg, unser Quartierzentrum, in eine Verkehrsmaschine umgebaut. (Wir wohnen neben den roten Häusern im Hintergrund rechts.)

Danke, lieber Stadtrat

Seit gestern fordert der Luzerner Stadtrat nicht mehr eine quartierverträglichere Gestaltung der Spange Nord, sondern stellt sich gegen deren Bau (vgl. „Spange Nord: Deshalb stellt sich der Stadtrat quer“ in der Luzerner Zeitung vom 17.4.2018). Die Gründe fürs kategorische Nein des Stadtrats: Die Eingriffe ins Quartier sind zu gross. Und: Der Stadtrat glaubt nicht an die massive Verkehrsentlastung der Innenstadt, die sich der Kanton von der Spange Nord verspricht. Nur mit der Spange könne eine Trendumkehr erreicht werden. Der Autoverkehr in der Stadt Luzern sei schon seit einigen Jahren rückläufig, im Zentrum sogar überdurchschnittlich stark, entgegnet Stadtrat Adrian Borgula (Grüne). Grund dafür seien vor allem die Massnahmen aus der städtischen Mobilitätsstrategie.

Leider kann die Stadt als Standortgemeinde die Spange Nord nicht verhindern, weil es sich um ein kantonales Bauwerk handelt, aber Einsprachen könnten die Realisierung um Jahre verzögern. Ausserdem wird die Kantonsbevölkerung über das 200-Millionen-Projekt abstimmen können — gut möglich, dass die Spange Nord in der Stadt Luzern abgelehnt, in der Agglomeration und im übrigen Kanton aber angenommen wird. Dann wird es zu einer politischen Frage, ob der Kanton diesen quartierzerstörerischen Autobahnzubringer gegen den Willen der Stadt durchsetzt. Im Mai wird der Kantonsrat über einen Planungskredit von 6.5 Millionen Franken entscheiden, der die Spange Nord quartierverträglicher machen soll.

Mein Fazit als NIMBY: Spange Nord nie!

⇒ Die Quelle der animierten Visualisierungen: www.spange-nord-nein.ch
⇒ Bau-, Umwelt- und Wirtschschaftsdepartement des Kantons Luzern: Vernehmlassungsunterlagen
⇒ Der Schlossberg, unser bedrohtes Quartierzentrum, auf stories & places.

Nachtrag vom 17.5.2018:
Der Artikel der Luzerner Zeitung über die veränderte Haltung des Luzerner Stadtrats zur Spange Nord ist nicht mehr online, dafür hat der Stadtrat am 3.5.2018 — also kurz vor der Verhandlung im Kantonsrat — eine entsprechende Medienmitteilung mit dem Titel Spange Nord: hoher Preis, geringer Nutzen publiziert.