Diese Frage beschäftigt mich, seit Aqua die Frage CXXIII „Stricken oder Bloggen“ aufgeworfen hat. Entgegen der landläufigen Meinung, dass Stricken etwas Biederes an sich hat, behaupte ich: Sie kann.
Für meine Antwort auf Aquas bestrickende Frage habe ich nach dem Stichwort Strickkunst recherchiert. Gefunden habe ich Guerilla bzw. Urban Knitting, Yarn Bombing, Knitted Graffiti oder wie auch immer diese 2005 in Houston, Texas, entstandene Form von Streetart genannt wird. Wie obiges Beispiel zeigt, kann Strickkunst auch subtil subversiv sein.
Und dann habe ich mich erinnert, dass ich von der Bürozüglete her noch Strickkunst in meiner Pultschublade habe:
Ein Objekt aus Draht, gestrickt von der Männedörfler Künstlerin Tatiana Witte. Hier der Link zu ihrer letzten Gruppenausstellung und zu ihrer
Homepage.
Für diese Strickkunst ist die Pultschublade zu schade – ich habe sie an einem guten Platz bereits wieder aufgehängt!
27. Januar 2011 um 11:55 Uhr
ich glaube, dass es keine von menschen entwickelte technik gibt, die nicht auch für künstlerische zwecke verwendung finden kann. beim stricken ist das genau so, wie z.b. beim aquarell (vor allem dann, wenn ich an all die vielen aquarelle denke, die ich schon gesehen habe, die nicht als künstlerisches werk durchgehen würden… 😉
27. Januar 2011 um 19:07 Uhr
REPLY:
Ich stimme zu, künstlerisch wertvolle Strickkunst ist rar. Davon können sich alle mittels Google-Bildersuche überzeugen: Wenig ergiebig ist die Suche mit dem Stichwort „Strickkunst“, schon mehr kommt mit „knitting art“. Unter anderem findet man dies:
Viele Knitting Art-Objekte sind witzig, einige sind auch mit einer politischen Aussage verbunden, z.B. der bestrickte Panzer auf Thirdspace, einem kanadischen Journal für feministische Theorie und Kultur.
Und dann gibt es doch tatsächliche mehrere Strick-Kunst-Blogs. Recht witzig ist die Dokumentation von creative knitting art auf Khana Pakana.com, aber künstlerisch wertvoll?
27. Januar 2011 um 21:28 Uhr
„urban“ drin ist, ist der Feuereifer von Herrn T. geweckt! Egal obs um Stricken, Landschaften oder Kläranlagen geht!
27. Januar 2011 um 23:31 Uhr
Kunst oder keine Kunst ist eine sehr interessante Frage. Kreativ oder nicht kreativ ist eine andere, die mich heute beschäftigt hat. Deinetwegen.
28. Januar 2011 um 1:58 Uhr
REPLY:
sie kenne ich. sie hat sich darauf spezialisiert. ich finde das schwierig. freikünstlerisch betrachtet ist es eine allzu eingeengte festlegung, was das material, incl. möglichkeiten und vor allem aussage/assoziationsräume betrifft. besser: manche mütze ist wahrer als ein frei gestaltetes bild. manche architektur ist schöner, gelungener, als ein ‚freies‘ kunstwerk. stricken und häkeln werden sich aber, auch aufgrund der eingeschränkten materialüblichkeit, schwer tun. schön finde ich das bild des aus draht gestrickten. da ändert sich etwas am muster der wahrnehmung. niemals ändern aber werden sich die kriterien, ob etwas ‚frei‘, also vermeintlich jenseits von zweck, oder angewandt, also unterworfen einem zweck, sein wird. diese kriege sind ewig. wobei ich, als sozusagen ‚zweckfreier‘, mal behaupte: mancher strumpf, manche brosche, können besser sein, als manches freies. /dennoch bewegt mich eher das freie.
dem gestrickten wird immer, vielleicht ‚leider‘, einfach schon aufgrund seiner kulturgeschichte, ein vorgegebener sinn anhaften. daran ist aber kein heutiger schuld (so würd‘ ich jetzt mal sagen). die materialwahl für das, was man aussagen möchte, die hat man immer und stets zu beachten.
29. Januar 2011 um 19:42 Uhr
Kann Stricken Kunst sein? Wer verfügt hierin über die Definationsmacht?
Abgesehen davon, als bekennende Strickerin betrachte ich das Stricken auch aus der historischen Entwicklung heraus. Soweit sich das rückblickend sagen lässt, entstand Stricken aus der Notwendigkeit heraus, eine (wärmende) Hülle für den Leib zu schaffen. Dabei wurde auf das häufiger vorkommende Material Wolle zurückgegriffen, denn auf ein gehäutetes Fell von einem geschlachteten Tier. Vor Jahrhunderten wurden die Tiere noch nicht geschoren, sondern man sammelte die an den Sträuchern und Dornen hängengebeliebenen Fasern.
Das Element des Schmückens ist sehr früh bekannt aus der Menschheitsentwicklung. Beim Strickhandwerk kam (in besser gestellten Kreisen) das Schmücken in Form von kleinen farbigen Glasperlen dazu, die eingestrickt wurden, und dabei zu kunstvollen farbenprächtigen Bildnissen gestaltet. Beispielsweise als Bordüre bei einem Überwurf am Saum, bei einem Beutel der an der Hand getragen oder um die Leibesmitte geschnürt wurde, bei Beinlingen (den Vorläufern Strümpfen) am oberen Rand, oder bei Stauchern wie sie heute noch gestrickt und verwendet werden.
Was wir Frauen heute als Handtasche lieben, ist in allen Kulturen rund um den Erdball Beutel oder Tasche bekannt, die am Leib getragen wurden (und bis heute verwendet werden), um etwas Mitnehmen oder -tragen zu können.
Aus dem Alpenraum sind Musterungen bei Strickstücken bekannt, die die umgebende Lebenswelt abbilde(te)n. Da heißen Muster etwa Leiter, Blatt, Rosenknospe, Steig, Almweg oder Fenster.
Bei den Fischerpullovern, wie wir sie aus den nordischen Ländern kennen, wurden Strukturmuster aus rechten und linken Maschen gestrickt, um das Kleidungsstück winddichter und robuster zu machen. Fischer waren ja nicht die reichsten Leute und so musste ein Pullover viele, viele Jahre seinen Dienst tun und haltbar sein, was durch die Musterungen erreicht wurde.
Meiner Ansicht nach stammt das, was wir heute rückblickend als künstlerisches Element in der Bekleidung bezeichnen können, aus einer Mischung aus praktischer Notwendigkeit, dem Bedürfnis des Schmückens und dem Ausdruck der sozialen Stellung des Trägers und der Trägerin, wie das auch heute noch bei Kleidungsstücken fungiert.
Wenn heutzutage unter uns Strickerinnen von Kunst die Rede ist beim Stricken, so meint dies, dass es sich nicht vorrangig um das praktische Anfertigen eines Kleidungsstückes oder Accessoires (für Mensch oder Wohnung) handelt, sondern um Werke jenseits dessen – oder Werke, bei denen der künstlerische Ausdruck an vorderster Stelle steht.
30. Januar 2011 um 2:34 Uhr
REPLY:
Wow, danke, Frau Rosenherz, für diese Kulturgeschichte des Strickens. Nichts liegt mir übrigens ferner, als die Definitionsmacht in Sachen Stricken & Kunst an mich zu reissen. Ausgehend von der Frage, ob Bloggen kreativer ist als Stricken, habe ich als bekennender Ex-Stricker nur die Frage in die Runde geworfen, ob Stricken auch Kunst sein kann. Für mich lautet die Antwort: Ja. Deshalb habe ich in meinem Eintrag auch Bilder eingefügt von Strick-Kunst-Werken, bei denen meiner Ansicht nach der künstlerische Ausdruck an vorderster Stelle steht.