„Reisen bildet!“ heisst es — und das gilt insbesondere für die Erweiterung des Wortschatzes auf Reisen ins deutschsprachige Ausland. Schon auf unserem letzten Städteurlaub in Wien vor fünfeinhalb Jahren haben wir uns sprachlich weitergebildet: Seither kennen wir z.B. den Ausdruck Schanigarten. Diesmal haben wir Küchenwienerisch gelernt, bis die Hutkrempe gloste.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich diesen Ausdruck jetzt richtig gebrauche — wahrscheinlich handelt es sich nicht einmal um eine stehende Wendung, sondern um ein schönes Sprachbild, das ich in einem Standard-Kommentar zur Zwangskonsolidierung des österreichischen Bankensektors gefunden habe (vgl. Der Standard vom 7.10.2016). Ich musste die Überschrift „Wenn die Hutkrempe glost“ zweimal lesen, bis ich mir einen Reim darauf machen konnte, obwohl das schweizerdeutsche Wort „Gluese“ für Glut nahe dran ist. Glosen ist ein Synonym für glimmen und eine Vorstufe zum Glühen — sprachliche Weiterbildung anhand der Zeitung.
Viel grösser ist das Potenzial für die Erweiterung des Wortschatzes im Bereich Essen und Trinken: Als wir bei unseren Wiener FreundInnen zum Tafelspitz mit allem Drum und Dran eingeladen waren, haben wir viel Küchenwienerisch gelernt, denn ausser des selbst gebackenen Brots und der Schnittlauchsauce gab es nichts zu essen und zu trinken, das bei uns in der Schweiz — falls überhaupt erhältlich — gleich heisst wie in Wien.
In Wien gab’s: *) | In Luzern wär’s: | Hochdeutsch: |
Tafelspitz | Süüdfleisch | Siedfleisch |
Apfelkren | Öpfel-Meerrettich | Apfel-Meerrettich |
Liptauer mit Brimsen | Gemäss Wikipedia ist Liptauer ein pikanter Brotaufstrich aus der slowakischen und österreichischen Küche. Er wird mit Brimsen, einem gesalzenen Frischkäse aus Schafsmilch (oder ersatzweise Topfen bzw. Quark) zubereitet. | |
Schnittlauchsauce | Schnidlauchsoose | Schnittlauchsoße |
Rösterdäpfel | Röschthärdöpfel (fast wie Röschti, aber nicht ganz) | Röstkartoffeln |
Fisolensalat in Sauerrahm | Bohnesalat mit Suurrahm | Bohnensalat mit Sauerrahm |
Dazu: Wiener Gemischter Satz |
Wiener Gemischter Satz ist gemäss DAC ein Weisswein mit Trauben aus einem Wiener Weingarten, der mit mindestens drei weissen Qualitätsrebsorten bepflanzt ist, die gemeinsam gelesen und verarbeitet werden. Der grösste Anteil einer Rebsorte darf nicht höher als 50% sein, der drittgrösste Anteil muss über 10% liegen. | |
Nachspeise: Powidl–Buchteln mit Vanillesauce |
Dessert: Gemäss Wikipedia sind Buchteln (auch: Wuchteln, Ofennudeln oder Rohrnudeln) süss gefüllte oder ungefüllte Germknödel, die im Ofen gebacken werden. Dieses Hefegebäck aus der böhmischen Küche hat Eingang in die sächsische, schwäbische, bayerische und österreichische, aber nicht in die schweizerische Küche gefunden. Unsere Gastgeberinnen haben die Buchteln mit Powidl (dick eingekochtes Pflaumenmus) gefüllt, in einer ofenfesten Form zusammengefügt und gebacken. Dazu servierten sie Vanillesauce. |
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*) Die Links in der ersten Spalte führen zu den entsprechenden Rezepten auf www.ichkoche.at |
Ein opulentes Mal, das hervorragend gemundet hat. Beim Plachutta wäre der Tafelspitz mit allem Drum und Dran höchstens annähernd so gut gewesen, aber nur halb so lehrreich und lustig, schön und gemütlich wie an der grossen Tafel von Katiza und Martin. Danke für die grossartige Gastfreundschaft!
27. Oktober 2016 um 15:01 Uhr
Tatsächlich ist die Standard-Überschrift »Wenn die Hutkrempe glost« keine stehende Wendung, sondern eben ein Sprachbild, wie Sie richtig vermuten: gemeint soll hier wohl aufglimmende Brenzlichkeit als Vorstufe »Bevor der Hut brennt« sein. Haben Sie übrigens gewusst, dass »Rösterdäpfel« mit Zwiebel auf Küchenwienerisch Erdäpfelschmarrn heißen.
29. Oktober 2016 um 0:29 Uhr
Passt alles einwandfrei 🙂 Ein kleiner Zusatz zu den Kartoffeln: Wenn über die leicht in Butter geschwenkten Erdäpfel gehackte Petersilie kommt, sagt man Peterkartoffeln dazu. Mag man in Wien, allerdingsd den Erdäpfelsalat mag noch viel lieber, am liebsten zum Wiener Schnitzerl. Mit viel Zwiebel und auch gerne Senf in der Marinade.
1. November 2016 um 9:23 Uhr
Danke für die ergänzenden Kommentare, lieber Nömix und liebe Elisabeth. Inzwischen bin zur Erkenntnis gelangt, dass auch virtuelles Reisen bzw. Bloggen bildet, denn jetzt weiss ich, was Erdäpfelschmarrn ist, und dass es die „Peterlihärdöpfel“ auch in Wien gibt.