Im Zusammenhang mit den welschen Kandidaten der SP, die sich für die Bundesratswahlen im Dezember in Stellung bringen, habe ich ein neues Wort gelernt: lemanozentrisch. Dank einem Radiobeitrag weiss ich jetzt auch mehr über die Regionen der französischen Schweiz und ihr Selbstverständnis.
Für diesen Erkenntnisgewinn sorgte die Sendung Die Woche in Tessin und Romandie vom 8.10.2011 auf DRS4. Der Freiburger SP-Ständerat Alain Berset, der letzte Woche seine Ambitionen auf die Nachfolge von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey angemeldet hat, habe das Problem, dass er nicht aus dem Genferseebogen stamme, sagte Ron Hochuli von Radio Suisse Romande.
Auf die Frage, wie der l‘ arc lémanique, der Metropolitanraum zwischen Genf und Lausanne, seinen Anspruch auf einen Bundesratssitz begründe, sagte Hochuli, die Wirtschaft der Region sei in den letzten Jahren noch stärker gewachsen als im Metropolitanraum Zürich. Ein solche Region mit 1.2 Millionen Einwohner müsse doch einfach im Bundesrat vertreten sein, hiesse es in diversen Berichten welscher Medien. Was denn der Rest der Romandie von dieser unverblümten Forderung halte, wollte der Interviewer wissen. Das sei typisch lemanozentrisch — offensichtlich das welsche Pendant zum deutschschweizerischen „zürilastig“.
A propos Metropolitanregionen: In einem Artikel mit dem Titel Metropolitanregionen und potenzialarme Räume: Die beiden Pole der regionalen Wirtschaftsentwicklung schrieb der Think-Tank „avenir suisse“:
„In den vier grossen Metropolregionen werden auf nur 10% der Landesfläche nahezu zwei Drittel (59%) des Schweizer Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwirtschaftet. Die mit Abstand bedeutendste Metropolregion ist Zürich, mit einem Anteil von knapp einem Drittel (29%) an der nationalen Wertschöpfung. Es folgen die Metropolregion Genf-Lausanne mit 14% und Basel mit 10%. Somit wird alleine in den drei grossen Metropolregionen Zürich, Arc Lemanique und Basel auf kleinstem Raum die Hälfte des Nationaleinkommens generiert. In deutlicher Distanz zu dieser Spitzengruppe findet sich die viertgrösste Metropolregion Bern, mit lediglich einem Zwanzigstel des schweizerischen BIPs.“
Der Genferseebogen ist das wirtschaftliche Zentrum der Romandie, von dem auch das Walliser Chablais und grosse Teile des Kantons Freiburg profitieren könnten, erklärt Hochuli weiter. In diesem zweiten Kreis würden sich dank noch zahlbarem Wohnraum gut verdienende Steuerzahler ansiedeln, die an den Genfersee pendeln. Neuchâtel liegt an der Grenze zum dritten Kreis, der die peripheren Gebiete der Romandie umfasst: den Jura und grosse Teile des Wallis.
Dass diese „Rand-Romandie“, die vom Boom am Genfersee gar nichts abbekommt, für die lemanozentrischen Ansprüche auf einen ständigen Sitz im Bundesrat kein Verständnis hat, sie gar als arrogant empfindet, finde ich nachvollziehbar, obwohl ich auch der Ansicht bin, dass urbane Anliegen und Probleme der grossen Städte und Agglomerationen in der föderalen Struktur der Schweiz zu wenig Gewicht haben.
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