Letzten Mittwoch gab mir eine Freundin eine tolle Führung durch die neuen Gebäude der Pädagogischen Hochschule Zürich. Der neue Gebäudekomplex steht auf Baufeld A eines ganzen Quartiers, das bis 2020 etappenweise neben Geleisen des Zürcher Hauptbahnhofs hochgezogen wird. Die Führung begann im Sockelgeschoss, wo eine Ladenpassage die Europaallee mit der Lagerstrasse verbindet. Die Läden verkaufen Ausrüstung für Outdoor-Tätigkeiten vom Wandern übers Trekking bis zum Klettern — der Gegensatz zwischen künstlicher Indoor-Welt dieser Outdoor-Läden und der freien Natur, für die das Equipment verkauft wird, könnte nicht grösser sein.
Um den krassen Gegensatz zwischen Kunst-Welt und Natur-Welt zu vermindern, wird die Natur multimedial in diese künstliche Outdoor-Shopping-Zone zurückgeholt: Die Decke der Einkaufspassage wird mit 16 Projektionen bespielt, die saisonal verändert werden können und inhaltlich aus fünf verschieden Bereichen der Natur (Wüste, Alpen, Meer, Regenwald und Wiese) stammen — das Konzept der medialen Bespielung hat die iart interactive ag erarbeitet. Die Natur wird aber auch akustisch in die Indoor-Passage zurückgeholt: Passend zu den Projektionen sind „zum Beispiel Grillenzirpen, Meeresrauschen, raschelndes Laub oder Tierstimmen“ zu hören. Die 24-Kanal-Klanginstallation stammt aus der Klangküche von Idee und Klang. Als wir da waren, krächzten — passend zum hochnebelartigen Himmel über den Tannenbäumen — Raben durch die Eurapaallee-Passage.
Die Entfremdung von der Natur ist anscheinend so weit fortgeschritten, dass wir urbanen Menschen beim Einkauf von Outdoor-Equipment als Vorbereitung aufs nächste Naturerlebnis multimedial auf Natur eingestimmt werden müssen — so verkommt Natur zu einem indoor konsumierbaren Surrogat.
9. Dezember 2012 um 20:29 Uhr
vielmehr plastic kann’s ja kaum mehr werden!
10. Dezember 2012 um 1:07 Uhr
REPLY:
Wenn Du, lieber Trox, mit „plastic“ künstlich meinst: JA genau, künstlicher kann die Welt im realen Leben kaum noch werden!
Wenn Du mit „plastic“ Kunststoffe meinst, weiss ich nicht recht: Ich habe den Eindruck, dass in der Europaallee-Passage recht teure Materialien verwendet wurden, aber der Boden könnte ein Kunststein sein und wieviel Kunststoff in einer Glasdecke mit Glasgranulat-Beschichtung steckt, weiss ich nicht — künstlich wirkt’s jedenfalls…
10. Dezember 2012 um 10:36 Uhr
tatsächlich meine ich künstlich … aber es wäre auch interessant, diesen Film mal auf die Passage anzuwenden 😉
http://archive.org/details/OilforAl1949
10. Dezember 2012 um 15:43 Uhr
REPLY:
Dieser Werbefilm für die Erdölindustrie dokumentiert eindrücklich den in den 50er Jahren ungebrochenen Glauben an den technischen Fortschritt und die Idee, dass eines Tages alles technisch machbar sein wird. Ein paar GAU später lassen wir uns nicht mehr solche Machbarkeitsmärchen erzählen, wir sind kritischer geworden — und gleichzeitig zynischer: Wir lassen uns beim Indoor-Klettern kein X für ein U vormachen und wissen genau, dass die künstliche Kletterwand ein Turngerät ist, aber wenn uns dabei die Raben ins Ohr krächzen, finden wir das allenfalls witzig und originell. Dabei ist’s himmeltraurig!
Danke, lieber Trox, für den Hinweis auf diesen Werbefilm von Shell, der zeigt, wie Märchen wahr werden…