Dass England unglaublich ländlich sein kann, ist eine Erkenntnis, die ich in unseren Sommerferien gewonnen habe. Auf unseren Wanderungen überquerten wir immer wieder riesige Schafweiden. Überall Schafe. Ob es daran liegt, dass der Wolf in Grossbritannien seit dem 19. Jahrhundert ausgerottet ist?
Schnell einmal haben wir gemerkt, dass Schaf nicht einfach Schaf ist. Dass diese beiden Schafe auf dem Latrigg (mit 368 m.ü.M. einer der niedrigsten Hügel im Lake District — von diesem „Haushügel“ hat man eine tolle Sicht auf Keswick) anders sind, haben wir aufgrund der Hörner gemerkt. Doch wer von uns Städtern kann schon Schafrassen unterscheiden?
Dank des Schafs wirkt diese englische Seenlandschaft noch friedlicher, noch bukolischer (Bukolik, v. griech. βουκόλος – boukólos – Rinderhirte) — bukolisch im allgemeineren Sinn, wie die bukolische Dichtung, die sich mit der Zeit auch nicht mehr nur auf das Leben von Rinderhirten, sondern von Hirten aller Art bezog, also auch auf die Schäferromantik. „Pastoral“ (von lat. pastor – Hirte) ginge als Adjektiv für dieses Landschaftsidyll mit Schaf zur Not auch, erinnert mich aber zu fest an mein Trauma mit La Symphonie pastorale von André Gide (1869-1951), dem ersten Buch, das ich auf Französisch lesen musste.
Meist sind englische Schafe auf eingezäunten Weiden anzutreffen. Einmal jedoch sahen wir in einem abgeschiedenen Tal im Lake District einen Schäfer, der mit seinem Hund eine recht grosse Schafherde talaufwärts trieb.
Dieses Schaf ist zwar schwarz, aber kein Schaf — auf englischen Weiden grasen nicht nur Schafe, sondern hin und wieder auch Kühe und Rinder. Im Vergleich zur Schweiz fällt allerdings auf, wie still diese englischen Landschaften sind, weil das Vieh keine Glocken trägt: Nicht nur die Landscape ist in England ganz anders, sondern auch die Soundscape.
Das sind nur gerade zehn von rund 22.6 Millionen Schafen und Lämmern, die 2013 in Grossbritannien gezählt wurden. Obwohl die Briten 2012 gemäss Beef and Lamb Matters, einem Blog der Fleischindustrie, beim Schaffleisch technisch autark sind, importierten sie 86’100 Tonnen, 73% davon aus Neuseeland. Im gleichen Jahr exportierten sie 94’700 Tonnen.
Das Vereinigte Königreich ist zugleich zweitgrösster Importeur und drittgrösster Exporteur von Schaffleisch. Das ist tatsächlich erklärungsbedürftig. Die britische Fleischindustrie führt saisonale Schwankungen und qualitative Unterschiede zwischen Angebot und Nachfrage als Gründe an. Die britische Nachfrage ist um Ostern am grössten, also genau dann, wenn das britische Angebot am kleinsten und der neuseeländische Überschuss am grössten ist. Überdies importiert Grossbritannien die qualitativ besseren und teureren Stücke, während die schlechteren und billigeren Bestandteile in Schwellenländer exportiert werden.
Immerhin gibt es auf dem Markt in Keswick einen Stand, der die vielfältigen Schafprodukte von der Wolle bis zum Fleisch aus einheimischer Produktion verkauft. Wie viel einheimisches Schaffleisch in den Kühlregalen der britischen Detailhändler landet, weiss ich nicht — in der Schweiz jedenfalls konnte ich bei Migros und Coop noch nie einheimisches Schaffleisch kaufen, obwohl gemäss einer ETH-Studie über den Schweizer Lammfleischmarkt immerhin 40% des Bedarfs im Inland produziert werden.
Dieses schöne Exemplar habe ich am Hadrianswall angetroffen. Ich musste es einfach fotografieren…
…und die Schafe, deren Wolle sich in diesem Stacheldraht verfangen hat, waren nah am Abgrund. Aber eben: Schafe, überall Schafe.
1. September 2014 um 18:53 Uhr
Das letzte Bild sieht aus, als hätte jemand Wollflusen zum Trocknen aufgehängt. 😉