Als ich vor Jahren an einem Basler Kiosk Postkarten kaufen wollte, fragte mich die Kioskfrau: „Wänn Si e Güggli?“ Ich muss sie so verständnislos angeschaut haben, dass sie ihre Frage wiederholte. Schliesslich begriff ich: Sie wollte wissen, ob ich ein „Papierseckli“ wolle.
Basler und Baslerinnen werden sich ab dieser Geschichte ins Fäustchen lachen: So weit kommt’s, wenn einer mit Zürcher Dialekt in Basel Postkarten kaufen will. Bei solchen Dialektproblemen schafft jetzt der kleine Sprachatlas vom Orell Füssli Verlag Abhilfe. Mit 120 Sprachkarten zeigt der Atlas auf, wo man was wie sagt – z.B. für einen Papiersack:
Ob allerdings die Kioskfrau am Bodensee fragen würde, ob ich eine „Chuchere“ wolle, wage ich zu bezweifeln. Sicher ist nur, dass ich in diesem unwahrscheinlichen Fall ähnlich ghüüslet dreinschauen würde.
„Kleiner Sprachatlas der deutschen Schweiz“ (2. Auflage im Huber Verlag Frauenfeld) war mein Weihnachtsgeschenk an meine Liebste und – ich geb’s zu – ich habe auch meine Freude daran. Als Geograf kann ich meine Faszination für thematische Karten nicht verleugnen, wie regelmässige Leser und Leserinnen dieses Blogs sicher schon festgestellt haben.In diesem Sprachatlas überschneiden sich aber unsere Interessen perfekt: Ihr Interesse für Dialekt- und Soziolekt-Fragen und meine Freude an bunten und aussagekräftigen Karten. Hier noch ein Beispiel, das sehr schön zeigt, was ich meine und wie unglaublich vielfältig die Schweizer Dialektausdrücke für Löwenzahn sind:
Dem Löwenzahn sage ich übrigens „Chrottepösche“…
1. Januar 1970 um 0:00 Uhr
Im Schwäbischen, also nördlich von Ihnen, sagt man „Gucke“. Eine „Gucke“ ist eine Tüte. Güggli hätte ich also problemlos ‚eingetütet‘, mithin: verstanden! 🙂
24. Januar 2011 um 15:49 Uhr
Ohhhhh! Das ist sehr gut zu wissen. Ich hatte auch schon ein Auge auf den Sprachatlas geworfen. Meinst du, dass deine Liebste ihn mir mal für ein Weilchen ausleiht, wenn ich sie nett bitte? Natürlich muss das nicht sofort sein. Aber vielleicht, wenn ihr zwei euch ein wenig satt gesehen habt?
24. Januar 2011 um 17:24 Uhr
REPLY:
…aber ich glaube, irgendwann wird sie ihn sicher entbehren können und ich kann in der Zwischenzeit mich mit den Karten vom Internet behelfen. Eine ganz andere Frage: Wie sagst Du dem Löwenzahn?
24. Januar 2011 um 18:50 Uhr
REPLY:
Ein Grund mehr, Frau F. morgen zu treffen… 😉
Mit dem Löwenzahn scheint es sich an meinem Herkunftsort ähnlich zu verhalten wie mit dem Schnee bei den Eskimos. Je nachdem ob ich von den Blättern spreche oder von den Blüten nenne ich ihn anders. Den Blättern sage ich Handschäärli, den Blüten Gudäräbluämä. Aber das ist ja glaubs beides nicht auf der Karte. Oder?
24. Januar 2011 um 21:23 Uhr
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meiner pessimistischen These, das sowieso alle allem gleich sagen. Gleich ist: Ich nenne die Blätter des Löwenzahn „Löwezahn“ und deren Blume „Söiblueme“. Dass Ihr solche sprachlichen Spezialitäten habt, ahnte ich doch. Da, wo Du herkommst, sind die Leute ja geradezu sprichwörtlich etwas eigen.
Auf den Atlas musst Du noch eine Weile warten. Ich leihe ihn Dir gern aus. Aber erst, wenn ich ihn selbst durchgeackert habe. Und ich bin erst beim ersten Einführungskapitel. Das allerdings schon einen Eintrag hermacht, den Du demnächst bei mir wirst lesen können.
Aber Dich morgen zu sehen, wäre trotzdem schön!
24. Januar 2011 um 21:49 Uhr
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Wahrscheinlich kommst Du, liebe Aqua, aus einem der weissen Flecken auf der Löwenzahnkarte (vereinzelte Ausdrücke). Und sicher wäre es möglich, ein Programm zu schreiben, das jemanden befragt, wie er oder sie im Dialekt dieses und jenes bezeichnet, und nach ein paar Antworten jemandes sprachliche Herkunft schon ziemlich exakt ausspuckt.
Frau Frogg hingegen kommt aus der relativ grossen „Soiblueme“-Zone, da müsste das Computerprogramm noch einige Fragen stellen!
24. Januar 2011 um 22:10 Uhr
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Kennst du das Chuchichäschtli-Orakel, lieber Kulturflaneur?
25. Januar 2011 um 2:33 Uhr
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Und ja, das Chochichäschtli-Orakel funktioniert recht gut: Bei mir jedenfalls hat das Fragespiel fünf Orte ergeben, die zu 90% mit meinem Dialekt übereinstimmen. Darunter ist ein Ort nur 3 S-Bahn-Stationen vom Agglo-Dorf entfernt, in dem ich aufgewachsen bin…
Herzlichen Dank für den Tipp!
25. Januar 2011 um 10:53 Uhr
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zum Thema „güggli“ stammt übrigens von einer Berner Oberländerfreundin von mir. „Gugge“ heisst ja auf Baseldeutsch „Plastiktüte“, auf Berner Oberländische aber „schauen, gucken“. Bei einem Ausflug nach Basel betrachtete meine Berner Oberländer Freundin ganz vertieft Schuhe in einem Schuhladen, als die Verkäuferin sie ansprach. „E wott ume gugge“, sagte sie auf die Frage der Verkäuferin, ob sie ihr behilflich sein könne. „Was? Se wänn e Gugge?“ fragte die Verkäuferin zurück. Es soll etwa fünf Minuten gedauert haben, bis das Missverständnis geklärt war und meine Freundin das tun konnte, was sie hatte tun wollen: Schuhe betrachten.
26. Januar 2011 um 17:19 Uhr
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„Gucke“ oder „Gugge“ ist wahrscheinlich ein niederalemannisches Wort. In besagtem Sprachatlas hat es eine Karte mit der Einteilung der oberdeutschen Dialekte. Gemäss dieser Karte wird im Vorarlberg, nördlich vom Bodensee, im Badischen, im Elsass sowie in Basel Niederalemannisch gesprochen. Kein Wunder also, dass Sie sich mit den Baslern und Baslerinnen besser verstehen als ich mit meinem hochalemannischen Dialekt. Noch schwieriger, Baseldeutsch zu verstehen, ist es wahrscheinlich für Leute aus dem südlichen Teil der Deutschschweiz – da wird nämlich Höchstalemannisch gesprochen. 😉
26. Januar 2011 um 17:40 Uhr
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Acqua höchstalemannisch, jedenfalls in Anflügen. Sagst Du nicht „buue“ statt „boue“ („bauen“) wie wir Acqua?
26. Januar 2011 um 17:58 Uhr
REPLY:
Ein bisschen mehr als nur in Anflügen, mit Verlaub! 😉
Schliesslich spreche ich nicht nur die Hiaten ohne Diphthong (buuä, schnyä , aber auch Polizy, nüü, fry) , ich dekliniere auch die prädikativen Adjektive (Bisch fuuli?). – Jedenfalls manchmal. Ausserdem halte ich den possesiven Genitiv lebendig.
Wenn ich wüsste, was ein Nebensilbenvokalismus ist, könnte ich auch noch sagen, ob auch der in meinem Dialekt vorkommt.