Frau Frogg hat eine lustige Angewohnheit: Sie erinnert sich anhand von Tassen an vergangene Ferien. Als letzthin der Restitutions-Thriller Die Frau in Gold im TV kam, dachte ich mir: „So eine Klimt-Tasse mit der goldenen Adele haben wir doch auch.“ Doch ein Blick in unseren Küchenschrank zeigte: Meine Frau hat die falsche Tasse im Schrank!
Ich hätte nicht gedacht, dass die Filmindustrie mal einen brauchbaren Spielfilm zum Thema Raubkunst und Rückerstattung produzieren würde. Im Zentrum des 2015 als Woman in Gold herausgekommenen Films mit Helen Mirren, Ryan Reynolds und Daniel Brühl in den Hauptrollen steht die Goldene Adele, das Portrait von Adele Bloch-Bauer, das Gustav Klimt 1907 gemalt hatte. Der Wiener Industrielle Ferdinand Bloch-Bauer hatte das Porträt seiner Frau in Auftrag gegeben und bezahlt. Der Fall Republik Österreich v. Altmann landet vor dem Supreme Court der USA und wird schliesslich — entgegen aller Erwartungen — von einem Schiedsgericht in Wien zu Gunsten der Erben entschieden. Nach acht Jahren juristischem Hickhack wurden 2006 insgesamt fünf Klimt-Bilder an Maria Altmann, Nichte von Adele Bloch-Bauer, zurückgegeben.
Selbstverständlich gab es bei einem von einer wahren Geschichte inspirierten Spielfilm auch Kritik, vor allem bezüglich Faktentreue: „Denn gewiss war es nicht Maria Altmanns Rechtsanwalt und Enkel des Komponisten Arnold Schönberg, der die Causa ins Rollen brachte“, schrieb Olga Kronsteiner im Wiener Standard. „Ein Eindruck, der entsteht, eben weil Faktentreue in bestimmten Sequenzen fehlt. Sie tritt zugunsten des Darstellers in den Hintergrund, der beim Publikum dafür Sympathiepunkte sammeln darf.“ Es war vielmehr der Journalist Hubertus Czernin, der die entscheidenden Dokumente gefunden und die Erben informiert hat. Im Fall Republik Österreich v. Altmann, in dem es nicht nur um die Goldenen Adele, sondern um die Restitution von insgesamt fünf Klimt-Werken ging, spielte Czernin eine entscheidendere Rolle als im Film, während Schönberg tatsächlich weniger wichtig war. Dass Czernins Vater ein Nazi war, wusste Czernin zum damaligen Zeitpunkt noch nicht, konnte also auch nicht — wie im Film behauptet — der Auslöser für seine Recherchen sein. Im Film verlässt Maria Altmann 1938 ihren kranken Vater, um sich in einer hochdramatischen Last-Minute-Flucht ins Ausland abzusetzen, in Tat und Wahrheit sei sie aber bei ihm geblieben, bis er im Juli 1938 eines natürlichen Todes starb, und sei erst dann mit ihrem Mann geflohen (vgl. Wikipedia).
Österreichs Mona Lisa
Gustav Klimts Adele Bloch-Bauer I., die Goldene Adele, entstand 1907 im Auftrag des Zuckerfabrikanten Ferdinand Bloch-Bauer. Als seine Gattin Adele 1925 starb, verblieb das Bild in seinem Besitz. Als Österreich 1938 mit dem „Anschluss“ Teil des Deutschen Reiches wurde, floh Bloch-Bauer über die Tschechoslowakei in die Schweiz. Bloch-Bauers Vermögen*) und die Kunstsammlung wurde von den Nationalsozialisten enteignet auf der Basis eines Steuerverfahrens, das 1938 vom Finanzamt der Wieden in Wien eingeleitet wurde. Der kommissarische Verwalter (treffender wäre wohl Vermögensliquidator) konnte die Klimt-Bilder vorerst nicht veräussern, weil sie nicht dem nationalsozialistischen Kunstgeschmack entsprachen. 1941 dann kaufte sie die Moderne Galerie (jetzt Österreichische Galerie Belvedere), wo sie über sechzig Jahre lang die Prunkstücke der Sammlung waren.
Aufgrund des Österreichischen Bundesgesetzes von 1998 über die Rückgabe von Kunstgegenständen und der im Film dargestellten juristischen Auseinandersetzung restituierte die Österreichische Galerie Belvedere 2006 die fünf Klimt-Bilder an Maria Altmann, die Nichte der Bloch-Bauers. Maria Altmann wiederum verkaufte die Goldene Adele für angeblich 135 Mio. $ an Ronald Lauder mit der Auflage, das Bild müsse öffentlich zugänglich sein. Seither hängt die Goldene Adele in der Neuen Galerie in New York.
Die richtige Tasse
Auf der Ferienerinnerungstasse (auf dem Bild oben rechts), die Frau Frogg letztes Jahr auf dem Wiener Naschmarkt erstanden hat, prangt zwar auch eine Ikone Österreichs: das Kaiserpaar Franz Josef I. und Elisabeth. Aber das wäre die richtige Tasse zu einer ganzen Film-Trilogie: Sissi (1955) und die Fortsetzungen Sissi – Die junge Kaiserin (1956) und Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin (1957) mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm gehören immer noch zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Filmen. Frau Frogg ist eben eine heimliche Royalistin. Dabei war der Souvenirladen voll von Klimt-Devotionalien: goldene Bilder, Tassen, Schirme, Fächer etc. — Frau Frogg hätte also genau so gut die passende Tasse zum Restitutionsthriller kaufen können.
Gerne hätte ich hier ein Bild aus dem kurier.at-Artikel Der Fall Adele präsentiert, was aber aus Copyright-Gründen nicht geht: Es zeigt die richtige Maria Altmann (1916 – 2011) mit der richtigen Tasse.
30. Juni 2020 um 8:02 Uhr
Ein interessanter Blogeintrag, sehr lesenswert!
(Was Sie über mangelnde Faktentreue im Film schreiben, trifft übrigens auch auf die genannte „Sissi“-Schmonzette zu: in Wirklichkeit hieß Kaiserin Elisabeth „Sisi“, ohne Doppel-s.)
8. Juli 2020 um 17:08 Uhr
Danke, lieber nömix, fürs Kompliment. Hat Spass gemacht, den verschiedenen Fäden, die alle irgendwie mit der Goldenen Adele verknüpft sind, nachzugehen und diesen Eintrag zu schreiben. Übrigens: Wahrscheinlich ist es gar nicht so schlecht, Dichtung (das Kunstprodukt Sissi im Film) und Wahrheit (die Kaiserin Sisi in der historischen Wahrnehmung) mittels unterschiedlicher Schreibweise auseinander zu halten…