Als SchweizerInnen sind wir immer ein bisschen irritiert, wenn wir in der Türkei auf einen Migrosladen stossen. Nach dem Konsum-Abenteuer in Österreich, das 1995 in der grössten Firmenpleite seit dem Zweiten Weltkrieg endete, dachten wir doch, die Migros sei eine derart urschweizerische Institution, dass die Idee nicht ins Ausland übertragbar sei und dass der „orange Riese“ es nie schaffen würde, ins Ausland zu expandieren. Doch das stimmt nicht ganz!
Von aussen könnte die Migros von Kaş als gutschweizerischer Quartierladen durchgehen — abgesehen vom i-Punkt unterscheidet sich das Logo kaum vom helvetischen Vorbild:
Wenn man den Laden betritt, bemerkt man weitere Parallelen:
Übernommen hat die türkische Migros auch die Einteilung der Läden in
M-, MM- und MMM-Läden — je mehr M, desto grösser der Laden und das Sortiment:
Sogar die Firmengeschichte ähnelt sich: Beide Migros-Unternehmen haben mit mobilen Verkaufsläden begonnen:
Die Ähnlichkeiten sind zum Teil so frappant, dass Migros Türk sogar für plagiat.posterous.com zum Thema wurde. Wie ist es aber dazu gekommen? Die türkische Migros wurde 1954 als Joint-Venture zwischen dem Migros-Genossenschafts-Bund in der Schweiz und der Stadt Istanbul gegründet. Ziel war es, unter der Kontrolle der Stadtgemeinde Lebensmittel und Konsumgüter vom Erzeuger direkt an die BürgerInnen von Istanbul zu verkaufen und dies in guter Qualität und zu günstigen Preisen. Diese Geschäftsidee, die den Detailhandel in der Schweiz und in der Türkei revolutionierte, kam jedoch erst so richtig zum Tragen, als 1975 die Koç-Gruppe die Aktienmehrheit übernahm.
Aufschlussreich ist dieser 10vor10-Beitrag des Schweizer Fernsehens zu 50 Jahre Migros Türk:
Abgesehen davon, dass Migros Türk auch Alkohol verkauft, fühlte sich Claude Hauser, Verwaltungsratspräsident von Migros Schweiz, wie in einem schweizerischen Migros-Laden. Im Fernsehbeitrag stellt Rahmi Koç, Besitzer von Migros Türk, fest, dass sich die türkische Migros in zwei wesentlichen Punkten von ihrem schweizerischen Vorbild unterscheidet: Die Migros in der Türkei ist eine Aktiengesellschaft, während ihr Schweizer Pendant genossenschaftlich organisiert ist. Und die türkische Migros hat im Gegensatz zu ihrem Vorbild erfolgreich ins Ausland expandiert: Gemäss Wikipedia gehörten 2009 über 70 Ramstore-Läden in Russland (2010 für 542.5 Millionen USD an Enka verkauft) und 20 weitere Läden in Kasachstan, Aserbaidschan, Mazedonien und Kirgisistan der Migros Türk.
2008 verkaufte die Koç Holding die Migros Türk an die Moonlight Capital SA. und in der Folge fusionierte Migros Türk T.A.Ş. mit ihrem Hauptaktionär, Moonlight Perakendecilik ve Ticaret A.Ş., die heute neben diesem 5M-Migros-Einkaufszentrum in Antalya fast 2000 weitere Läden in der Türkei und 27 Ramstore-Filialen im Ausland betreibt.
Und die schweizerische Migros? Sie expandiert langsam und ganz vorsichtig ins benachbarte Ausland: Im Grenzgebiet von Genf betreibt Migros-France SAS drei Supermärkte und ein grosses Freizeitzentrum. Migros Deutschland mit fünf Filialen in Baden-Württemberg und Rheinlandpfalz sucht für ihre Expansionspläne vorerst in Städten mit mehr als 50’000 Einwohnern in Baden-Württemberg und dem südlichen Bayern Mietflächen von 2’000 bis 2’200 Quadratmeter. Seit 2009 ist Migros ausserdem zu 49% an der Gries Deco Company GmbH beteiligt, die unter dem Namen „Depot“ v.a. in Deutschland eine grosse Warenhauskette für Geschenkartikel, Dekorationsaccessoires und Kleinmöbel betreibt.
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