Eine Rundreise mit der Bahn ist nicht besonders erholsam, aber es hat sich gelohnt: Auf unserer zweiwöchigen Reise durch Wales haben wir viel erlebt. In diesem Beitrag präsentiere ich die ersten fünf meiner zehn Highlights: eines in England und vier in Wales.

1 Lincoln

1 Lincoln — Besuch mit Freunden im Herz von England

Von Lincoln in den East Midlands hatte ich bis anhin noch nie gehört. Deshalb war zuerst ein bisschen skeptisch, als unsere englischen Freunde vorschlugen, dahin einen Autoausflug zu machen, aber Lincoln war eine positive Überraschung: Lincoln ist die Hauptstadt der Grafschaft Lincolnshire und etwa so gross wie Luzern. Der Kern der Stadt liegt auf einem Hügel mitten im flachen Land. Schon die Römer erkannten die gute strategische Lage am Fluss Witham, errichteten einen Militärstützpunkt, der im Jahr 96 in die Veteranenkolonie LINdum COLoNia umgewandelt wurde.

Stokes High Bridge Café

Eindrücklich ist das mächtige Lincoln Castle, das um 1068 von den Normannen errichtet wurde. Sehenswert ist auch die monumentale Kathedrale, die zu den bedeutendsten Bauten der englischen Gotik gehört. Faszinierend fand ich das Stokes High Bridge Café, das über dem Fluss Witham gebaut worden ist. Kurz: Lincoln ist ein Geheimtipp ab von den grossen Touristenströmen. Siehe auch: Das Herz von England von Frau Frogg.

2 Llandudno

2 Llandudno — verblichene Grandezza des viktorianischen Seebads

Da ich von den Bildern im Internet sehr angetan war und auch Frau Frogg sich überzeugen liess, wurde Llandudno, das elegante viktorianische Seebad an der walisischen Nordküste zu unserem ersten Reiseziel in Wales. Llandudno (walisisch: [ɬɑnˈdɪdno], englisch: [lænˈdɪdnəʊ]) ist mit über 20’000 Einwohnern das grösste Seebad in Wales. Im Beitrag Walisisch für Schwerhörige beschäftigt sich Frau Frogg mit der korrekten Aussprache von Llandudno und mit dem Walisischen im Allgemeinen. Llandudno hat seine besten Zeiten längst hinter sich, gibt sich aber grosse Mühe, die Grandezza des viktorianischen Seebads zu pflegen. Es ist eine Sommerfrische für Ehepaare im Alter von 60+ — also grad recht für uns. Viel los ist da nicht: Wenn aber der letzte hochseetaugliche Raddampfer am 500 m langen Pier anlegt, dann ist die ganze Stadt aus dem Häuschen. Kurz: Llandudno war gerade wegen seiner verblichenen Grandezza ein Highlight.

3 Conwy

3 Conwy — Strandwanderung, spektakuläre Burg, sehenswertes Städtchen

An der Strandpromenade von Deganwy

Die Strandwanderung von Llandudno nach Conwy sowie die Besichtigung der Burg und Städtchens mit Stadtmauern war ein Highlight mit Ansage, denn König Edwards Burgen und Stadtmauern in Gwynedd gehören seit 1986 zum UNESCO-Weltkulturerbe, das Burgen und Stadtmauern von Conwy und Caernarfon sowie die Burgen Beaumaris und Harlech umfasst. Für die UNESCO seien sie die „schönsten Beispiele der Militärarchitektur des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts in Europa“. Gemäss Wikipedia sind diese Befestigungsanlagen Teil des Eisernen Rings, den Eduard I. nach seiner Invasion in Nordwales im Jahr 1282 errichten liess. Eduard I. besiegte die walisischen Regionalfürsten in einem grossen Feldzug und machte sich daran, das Gebiet dauerhaft zu kolonisieren. Er schuf neue, durch Burgen geschützte, befestigte Städte, in denen sich englische Einwanderer niederlassen und die Gebiete verwalten konnten. Allerdings war der Eiserne Ring zur Sicherung von Nordwales als Kolonie enorm kostspielig und beanspruchte die königlichen Ressourcen bis an ihre Grenzen. Kurz: Die eindrücklichen Befestigungsanlagen machen Conwy zu einem touristischen Hotspot — sowohl Burg als auch das ummauerte Städtchen haben uns sehr gefallen.

4 Caernarfon

4 Caernarfon — Städtchen am Westende des Menai mit Stadtmauer und geschichtsträchtiger Burg

Auch Caernarfon gehört zum Eisernen Ring von Burgen rund um Nordwales. Für die Leitung des sehr ambitionierten Burgenbauprogramm engagierte König Eduard I. den besten Militärbaumeister seiner Zeit: James of St. George aus Savoyen. Zeitweise arbeiteten 4000 Arbeiter, die teils mit Waffengewalt aus ganz England nach Wales gebracht worden waren, am Burgenbau. Durch diese enorme Konzentration von Arbeitskräften und Material kam das gigantische Bauprogramm rasch voran, stellte jedoch eine überaus grosse organisatorische und wirtschaftliche Belastung für England dar. Für die Finanzierung des Bauprogramms musste der König dem Parlament immer neue Steuergelder abringen, darüber hinaus verschuldete er sich massiv bei toskanischen Bankiers.

Caernarfon Castle war die aufwändigste Burg des Bauprogramms, weil die Burg nicht nur als Festung, sondern auch als Residenz eines neuen englischen Fürsten von Wales dienen sollte. Soweit kam es aber nie. Fürs englische Königshaus jedoch ist Caernarfon Castle bis heute ein Symbol dafür, dass Wales zum Vereinigten Königreich gehört: 1969 krönte Queen Elisabeth II. ihren Sohn Charles in einer feierlichen Zeremonie im Innenhof der Burg zum «Prince of Wales».

Otto de Grandson. Grabmal in der Lausanner Kathedrale (Wikimedia Commons)

Entgegen den Plänen Eduards I. diente die Burg jedoch nie als Residenz der englischen Fürsten von Wales, nur der Justiciar von Nordwales — ein gewisser Otto de Grandson (1238 – 1328), ein aus Savoyen stammender Adliger und Militär, der lange Jahre im Dienst des englischen Königs Eduard I. stand — nutzte die Burg zeitweilig als Residenz. Der Edelmann von Grandson am Neuenburgersee war ein enger Freund und Berater von Eduard I., der ihn nach der Eroberung von Wales im März 1284 zum Justiciar von Nordwales ernannte und ihn mit nahezu vizeköniglichen Vollmachten ausstattete. König Eduard I. soll über Otto de Grandson einmal gesagt haben, es gebe niemanden in seiner Nähe, der seinen Willen besser erfüllen könne. Wegen seiner aussergewöhnlichen Karriere am englischen Königshof und als einer der erfahrensten Militärs und Diplomaten seiner Zeit war Otto de Grandson schon zu Lebzeiten berühmt. Es gibt kaum eine Figur in der englischen Geschichte, die ein so langes Leben hatte, so weit reiste und eine solch abenteuerliche und vielfältige Karriere wie Grandson hatte.

Caernarfon ist aber nicht nur wegen der imposanten Burg ein Highlight, sondern auch wegen des sehenswerten Städtchens und seiner Lage am westlichen Ende der Menai-Strasse, die das walisische Festland von der Insel Anglesey trennt. Frau Frogg musste sich sich mit Caernarfon erst anfreunden, siehe Fremdeln in Caernarfon, nach einem Regentag in Caernarfon ist ihr die Stadt aber doch ein bisschen ans Herz gewachsen.

5 Welsh Highland Railway

5 Welsh Highland Railway — mit dem Dampfzug von Caernarfon nach Porthmadog

Kreuzung zweier Züge der Welsh Highland Railway in Rhyd Ddu

Highlight Nummer 5 ist eine Bahnreise, zuerst mit der Welsh Highland Railway von Caernarfon nach Porthmadog und dann mit Zügen der 2016 gegründeten Transport for Wales der walisischen Westküste entlang nach Süden. Die Reise mit dem «Snowdonia Star», einem von einer Dampflok gezogenen Zug mit historischen Bahnwagen, durch die wolkenverhangenen walisischen Highlands war ein 1a Erlebnis — eine Freundin schrieb zu meinen Instagram-Bildern: „Sieht aus wie die Zugreise nach Hogwarts!“ Und ich finde, das hat was. Die Welsh Highland Railway ist nicht nur für die Reisenden spektakulär, sondern auch für die Trainspotter:innen, die zahlreich an der Strecke standen: Noch nie ist eine Bahnreise in meinen Ferien derart gut dokumentiert worden. Etwas gewöhnlicher, weniger spektakulär, aber überaus schön war die Weiterfahrt von Porthmadog über Dovey Junction bzw. Machynlleth nach Aberystwyth (vgl. auch Der Kluge reist im Zuge) mit immer wieder tollen Ausblicken auf die walisische Küste.

Highlights 6 bis 10

Teil II der zehn Highlights einer England-Wales-Rundreise folgt in einem nächste Beitrag…