Heute endet in meinem Leib-und-Magen-Blatt, dem Zürcher Tages-Anzeiger, eine Artikelserie über die Zersiedelung der Schweiz und die Machtlosigkeit der Raumplanung. Das Problem ist schon länger erkannt und trotzdem ändert sich rein gar nichts. Deshalb möchte ich diese Serie mit dem Titel „Verbaute Schweiz“, die auch online nachzulesen ist, allen wärmstens ans Herz legen.
Sekündlich wird in der Schweiz ein Quadratmeter Natur zugebaut — und das mehr oder weniger planlos. Deshalb fordert im Auftaktartikel Stararchitekt Jacques Herzog eine radikal neue Vision: „Wenn Stadt, dann richtig Stadt, wenn Land, richtig Land und beide Lebensformen aufeinander Bezug nehmend.“ Höchste Zeit, etwas gegen den drohenden Siedlungsbrei zwischen Bodensee und dem Lac Léman zu unternehmen.
In doppelseitigen Artikeln mit eindrücklichen Bildern von Raffael Waldner werden einzelne Aspekte der Zersiedelung unter die Lupe genommen:
- Die S-Bahn, die die Attraktivität peripherer Gebiete steigert, den Siedlungsdruck in „ländlichen“ Dörfern erhöht und die Suburbanisierung vorantreibt.
- Bauherren, die Bauern verdrängen, indem sie dafür sorgen, dass Kulturland eingezont und überbaut wird. Solange so viel Geld in den Boden investiert wird, lässt sich die Zersiedelung nicht stoppen, stellt ein Experte für Bodenfragen fest.
- Der Traum vom eigenen Einfamilienhaus im Grünen führt dazu, dass die Schweiz zum Gartensitzplatz verkommt und immer mehr Gebiete „verhüslet“ werden. Der Traum zerstört sich selbst.
- Kalte Betten in den Tourismusgebieten: In einzelnen Gemeinden beträgt der Zweitwohnungsanteil mehr als 80%. In 13 Berner Gemeinden ist das Problem so gross, dass der Bund mit einem Baustopp für Zweitwohnungen droht.
- Planloses Wuchern der Agglomeration führt zum Verkehrskollaps und zur ständigen Überschreitung von Umweltgrenzwerten. Im Westen von Lausanne war das Problem so akut, dass die Waadtländer Regierung im Jahr 2000 ein Baumoratorium verfügte und acht Vorstadtgemeinden zu einer grenzüberschreitenden Planung zwang. Jetzt lebt die Wüste auf.
- „Eine dichte Stadt ist umweltfreundlich“, sagt ETH-Professor Ulrich Weidmann und fordert für die Stadt Zürich Hochhausquartiere, neue Quartierverbindungsstrassen und ein unterirdisches Tramsystem im Stadtkern.
- Alpine Brachen sind die Kehrseite der Zersiedelung. Statt mit Subventionen die Abwanderung zu bekämpfen, solle man entleerte Alpentäler sich selbst überlassen, meinen Ökonomen. Doch die Bewohner des Val Calanca kämpfen gegen die Verwilderung.
Das Problem der Zersiedelung hat viele Facetten. Klar jedoch ist, dass das föderalistische System der Schweiz in der Raumplanung versagt. „Der Bund muss Kantone und Gemeinden an die Zügel nehmen und griffigere Richtpläne durchsetzen“, lautet das Fazit, das Beat Bühlmann in seinem Abschlussartikel zieht. Um die Zersiedelung zu stoppen, müsse die Politik durchgreifen und überflüssige Bauzonen redimensionieren. Die öffentliche Hand solle private Planungsgewinne abschöpfen, um Entschädigungen für Auszonungen zu finanzieren. Schliesslich fordert er mehr Raumplanungskompetenzen für den Bund, so dass dieser die kantonalen Richtpläne kontrollieren und notfalls sanktionieren kann. Recht hat er.
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