Am ersten Tag meiner Whatsalp-Wanderwoche war nicht Wandern angesagt, sondern zwei verkehrspolitische Lokaltermine: Die Alpen-Initiative hat Besuche im Gotthardbasistunnel und im Schwerverkehrszentrum Uri organisiert. Beide Besichtigungen waren überaus interessant.
Die Fahrt durch den Gotthardbasistunnel fühlt sich nicht anders an als die Fahrt durch Channel-Tunnel nach Grossbritannien: Das mulmige Gefühl hält sich in Grenzen — egal ob sich über dem Kopf das Felsmassiv des Gotthards auftürmt oder die Wassermassen des Ärmelkanals. Bekommt man bei der Kanalunterquerung das Meer nicht einmal zu Gesicht, kündigen sich die Alpen als Hindernis für den alpenquerenden Verkehr wenigstens an: Die Berge links und rechts werden immer höher und das Tal enger. Letztlich aber ist die Fahrt durch den Basistunnel enttäuschend und viel weniger spektakulär als die Fahrt über die Bergstrecke mit all ihren Kehrtunneln, Brücken und dem alten Gotthardtunnel, dem Jahrhundertbauwerk des 19. Jahrhunderts.
Dennoch ist der Basistunnel eine neue Touristenattraktion, die wir unter kompetenter Führung von Max Gisler von Uri Tourismus besichtigen: Von Erstfeld fahren wir nach Amsteg und durch einen 2 km langen Zugangsstollen zum Basistunnel. Dort kann man durch ein seitliches Fenster in die Weströhre schauen, wo die Züge mit rund 200 Stundenkilometern vorbeirasen. Dazu ist ein Röhren und Pfeifen zu hören, das durch die Luft entsteht, die die Züge vor sich her stossen — die Luft strömt durch die längste Orgelpfeife der Welt. Eindrücklich!
Die Kapazität des Basistunnels ist noch lange nicht ausgeschöpft und kann mit neuer Sicherheits- und Steuerungstechnik womöglich noch erhöht werden. Allerdings ergibt sich aus den unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Personenzüge (ca. 200 km/h) und der Güterzüge (ca. 100 km/h) ein Problem: Je grösser die Geschwindigkeitsdifferenz, desto schneller holen die schnelleren Passagierzüge die langsameren Güterzüge ein. Kritische BeobachterInnen erinnern deshalb schon jetzt daran, dass der Gotthardbasistunnel in erster Linie für den alpenquerenden Güterverkehr gebaut wurde und erst in zweiter Linie zur Verkürzung der Reisezeit zwischen Zürich und Milano. Sie fordern, dass auf Höchstgeschwindigkeiten (bis 250 km/h wären möglich) zugunsten von mehr Kapazitäten für den Güterverkehr verzichtet wird. Gemäss SBB ist der Basistunnel für je 2 Personenzüge und 6 Güterzüge pro Stunde und Richtung ausgelegt, eine Trassenverlagerung zugunsten des Personenverkehrs wie am Lötschberg sei nicht vorgesehen.
Verkehrspolitische Forderung:
Die neu geschaffenen Kapazitäten konsequent für die Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene nutzen!
Unser zweiter Lokaltermin gilt dem Schwerverkehrszentrum Uri: In Erstfeld kontrolliert die Polizei die Lastwagen, die auf der A2 Richtung Süden unterwegs sind und durch den Gotthard-Strassentunnel fahren wollen. Nach einem Apero stellt Lucia Lauener-Zwyer von der Alpen-Initiative erfreut fest, dass 2016 erstmals weniger als eine Million Lastwagen auf Schweizer Strassen die Alpen überquert haben, um gleich anzufügen: „Wir werden nicht locker lassen, bis das Ziel von unter 650’000 Fahrten erreicht ist.“ Und die Alpen-Initiative weiss auch, wie das Verlagerungsziel erreicht werden kann: Von zehn Massnahmen zielen nur zwei darauf, den alpenquerenden Schwerverkehr zu verteuern bzw. den Güterverkehr auf der Schiene zu subventionieren. Alle anderen Massnahmen sorgen indirekt für gleiche lange Spiesse, z.B. über die Verringerung der CO2-Emissionen oder die Angleichung der Arbeitsbedingungen der Chauffeure an die bei der Bahn. Im Vordergrund steht im Moment die Forderung nach mehr Sicherheit im Transitverkehr durch die Intensivierung der LKW-Kontrollen, das generelle Verbot von Gefahrenguttransporten auf Transitstrassen sowie Massnahmen gegen Manipulationen an den Abgasanlagen, denn der übermässige Ausstoss an Stickstoff (NOX) gefährdet die Gesundheit der Bevölkerung entlang der Transitachsen.
Zuständig für die Erhöhung der Sicherheit auf den Transitstrassen ist die Polizei, insbesondere das Schwerverkehrszentrum Uri mit seinen 50 Angestellten. Andreas Simmen, der Leiter des SVZ, präsentiert die Zahlen: Von 365’800 Lastwagen, die 2016 auf der Gotthardroute in Richtung Süden fuhren, kontrollierte das SVZ 18’437 oder 5%. Bei 6028 oder einem Drittel aller kontrollierten Fahrzeuge war etwas nicht in Ordnung. Diese Rapporte listeten 10’240 Tatbestände auf und hatten 509 Ordnungsbussen zur Folge. 2609 oder 14% der kontrollierten Fahrzeuge mussten zuerst repariert werden, bevor sie weiterfahren durften. Ein Lastwagen war gar so schrottreif, dass die Halterfirma ihn gleich auf dem Gelände stehen liess — nach über einem Jahr steht er immer noch da. Eine andere Firma meidet inzwischen die Gotthardroute, weil ihr das Risiko, dass ihre mangelhaft gewarteten Lastwagen aus dem Verkehr gezogen werden zu hoch wurde. Das heisst: Die Kontrollen wirken, nur führen Zeitverlust und Kosten für Bussen und Reparaturen nicht zur Verlagerung auf die Schiene, sondern zu Umwegfahrten über Transitrouten, auf denen die Chancen, nicht erwischt zu werden, grösser sind. Dass jeder dritte Lastwagen beanstandet wird und jeder siebente Lastwagen nicht weiterfahren darf, bevor er repariert wurde, ist erschreckend und zeigt, dass die Kontrolldichte (5% im SVZ Uri, andernorts noch geringer) zu tief ist. Der Lastwagenverkehr muss besser kontrolliert werden. In der Schweiz sind von einem Dutzend Kontrollzentren erst sechs in Betrieb, insbesondere sollten Bund und Kanton Tessin das geplante SVZ in Monteforno (TI), das die nordwärts fahrenden LKWs kontrollieren wird, rasch realisieren.
Verkehrspolitische Forderung:
Der alpenquerende Güterverkehr auf der Strasse
muss nicht nur am Gotthard stärker kontrolliert werden!
24. April 2019 um 10:58 Uhr
Steter Tropfen höhlt den Stein!
Auf Drängen der Alpen-Initiative publizierte das ASTRA am 1.4.2019 erstmals eine gesamtschweizerische Statistik zu Schwerverkehrskonrollen. Sie zeigt, dass es Kontrollen braucht, dass sie in Schwerverkehrskontrollzentren effizienter durchzuführen sind als mobil und dass inzwischen 7 von 11 Kontrollzentren in Betrieb sind. Es geht voran, aber leider viel zu langsam!
Leben in der Kabine
Auch die Alpen-Initiative hat festgestellt, dass es mit der Verlagerung des Transitverkehrs von Strasse auf die Schiene nur langsam vorwärts geht, und hat sich gefragt warum. Eine Antwort sind die lausigen Löhne und die miesen Arbeitsbedingungen der LKW-Chauffeure, die es osteuropäischen Fuhrunternehmen erlauben, Waren viel billiger zu transportieren als die Bahn. Die Alpen-Initiative hat deshalb bei Susan Boos (Text) und Fabian Biasio (Videos, Fotos) eine Recherche zum tristen Leben der LKW-Fahrer in Auftrag gegeben — herausgekommen ist die informative und sehr lesenswerte Web-Reportage Leben in der Kabine.