Gegensätzlicher könnten sie nicht sein, die rational ausgetüftelten Kunstaktionen von Roman Signer, der vor kurzem 80 wurde, und die emotionalen Körperbilder der österreichischen Künstlerin Maria Lassnig (1919-2014). Die Kombination der beiden Ausstellungen im Kunstmuseum St. Gallen hat in ihrer Gegensätzlichkeit einen ganz besonderen Reiz.

Sowohl Roman Signer als Maria Lassnig sind mir als KünstlerInnen schon seit Jahren ein Begriff: Peter Liechtis einfühlsames Künstlerportrait Signers Koffer (Dok, 1995, 84 min., OF, Untertitel in diversen Sprachen) habe ich als schon lange als DVD zu Hause, die ich mir immer wieder mal ansehe, denn: Gefilmt wirken Signers Aktionen immer noch am besten. Obwohl er vehement bestreitet, ein Lausbub (NZZ vom 19.5.2018) geblieben zu sein, huscht nach einer gelungenen Aktion ein zufriedenes, schalkhaftes Lächeln über sein Gesicht. Ebenfalls seit Jahren steht ein 1997 erschienener Katalog, Maria Lassnig — Be-Ziehungen und Malflüsse, in unserem Büchergestell. Wann und wo ich die zugehörige Lassnig-Ausstellung gesehen habe, weiss ich nicht mehr, aber die expressive Farbigkeit und Körperlichkeit ihrer Bilder haben sich mir eingeprägt. Als wir Anfang Juni in St. Gallen waren, haben wir uns deshalb die beiden Ausstellungen Spuren von Roman Signer und Be-Ziehungen von Maria Lassnig angesehen.

Dreiphasenkunst

Früher als „Spreng-Künstler der Nation“ belächelt (vgl. Schnorri + Schlarpi weggeblasen), ist Signer heute ein weltweit anerkannter und gefragter Künstler. Seine Kunst ist inzwischen weniger knallig, aber mindestens so poetisch wie früher:


Der Beitrag von 10vor10 über Roman Signer und seine Kunst erklärt, warum Signer als Künstler so beliebt ist, zeigt seine wohl bekanntesten Aktionen und wie das blaue Fass ins Feld rollt, beantwortet aber auch die Frage, ob Signer tatsächlich x-mal mit dem Velo um die beiden Säulen fährt.

In 10vor10 sagt Roman Signer zum Sinn seiner Kunst: „Die Menschen wieder sensibel machen, dass sie so etwas überhaupt betrachten können, und sensibel werden für die kleinen Gegebenheiten, das ist der Sinn.“ Und so produziert Signer weiterhin Kopfkino: Das was passieren könnte oder bereits passiert ist, soll sich im Kopf des Betrachters, der Betrachterin noch einmal abspielen. Der Tagesanzeiger vom 29.5.2018 bezeichnet dies als Dreiphasenkunst und schreibt, es gebe bei Signers Kunst immer ein Vorher, ein Nachher und ein Dazwischen. Einige Werke, die in Spuren zu sehen sind, zeigen das Nachher, aber 50 Skizzen, Studien und Projekte an den Wänden zeigen das Vorher — also Werke vor ihrer Realisierung. Ein Spezialfall ist die Installation «Stehende Holzbalken», die zwar fertig aufgestellt ist, aber das Potenzial hat, dass jederzeit etwas passieren kann. Das Dazwischen ist repräsentiert durch sechs digitalisierte Super-8-Filme, die in Endlosschlaufen sechs Kunstaktionen zeigen, die Signer 1982 im Kunstmuseum St. Gallen realisiert hat. Hoffentlich produziert Roman Signer noch viel poetisches Kopfkino, das zum heiteren Nachdenken anregt!

Visualisierung der eigenen Körperwahrnehmung

Ganz anders, aber ebenfalls zum Nachdenken anregen Maria Lassnigs Bilder in der Ausstellung Be-Ziehungen: Sie zeigen über fünfzig Jahre Entwicklung dieser österreichischen Künstlerin, die sich immer wieder neu erfunden hat und dennoch die roten Fäden in ihrem Schaffen nie aus den Händen gegeben hat:


Der Beitrag von arttv.ch über die Ausstellung «Be-Ziehungen» im Kunstmuseum St. Gallen vermittelt einen guten Eindruck von den ausgestellten Werken und zeigt die Bedeutung von Maria Lassnig (1919-2014) für die Gegenwartskunst des 20. Jahrhunderts auf.

Mit ihren „Body Aware Paintings“, ihren Körpergefühlsbildern, habe sie grossen Einfluss gehabt, auch auf eine jüngere Generation, sagt Direktor und Kurator Roland Wäspe, sie sei ein Monument, an dem man sich als Künstler abarbeite. Seit ihrem Aufenthalt in New York (1968-1980) habe sie auch grosse Bedeutung für die feministische Kunstszene. Anyway, Maria Lassnig hat mit ihrer körperbezogenen Malerei hat die Gegenwartskunst des 20. Jahrhunderts geprägt wie keine andere. Und wenn das St. Galler Kunstmuseum auch nur einen kleinen Ausschnitt aus dem umfangreichen Werk Lassnigs präsentieren kann, habe ich doch einen guten Einblick ins Leben und Schaffen dieser herausragenden Künstlerin erhalten.

Fazit

Den Besuch der beiden Ausstellungen Spuren von Roman Signer und Be-Ziehungen von Maria Lassnig kann ich nur empfehlen. Ihre Gegensätzlichkeit in der Herangehensweise — rationale vs. emotionale Kunst — verleiht der Kombination der beiden Ausstellungen einen besonderen Reiz.