Im Januar hat der Bund das gemeinsam mit Kantonen, Städten und Gemeinden erarbeitete Raumkonzept Schweiz vorgestellt. Oberziel ist es, bestehende Siedlungen zu verdichten. Kein erklärtes Ziel, aber dennoch absehbar ist, dass die Agglomeration Luzern allmählich Teil des Metropolitanraums Zürich wird: Ist Luzern bald Züri-Süd?
Das neue Konzept unterscheidet zwölf funktionale Handlungsräume:
- die Metropolitanräume Zürich, Basel und das Bassin Lémanique,
- die Hauptstadtregion Bern,
- fünf klein- und mittelstädtisch geprägte Räume: Luzern, Città Ticino, Jurabogen, Aareland und Nordostschweiz,
- drei alpin und touristisch geprägte Räume: Gotthard, Südwestschweiz und Südostschweiz.
Das Konzept, das jetzt in die Vernehmlassung geht, versteht sich nicht als neues Instrument der Raumplanung, sondern als politische Grundlage für Raumentwicklungsentscheide auf allen drei Staatsebenen. Es will 1. die Qualitäten jedes Raums fördern, 2. die natürlichen Ressourcen schonen und die Zersiedelung stoppen, 3. die Mobilität steuern (bestehende Infrastrukturen optimaler nutzen statt neue erstellen), 4. dass sich die Schweiz als attraktiver Wirtschaftsstandort positioniert und 5. die Solidarität zwischen den verschiedenen Räumen stärken.
Aus diesen heeren Zielen leitet das Konzept dann sieben Strategien ab. Die Strategie gegen die Zersiedelung z.B. sieht vor, die bestehenden Siedlungen nachhaltig weiterzuentwickeln. Das heisst konkret: Die Siedlungsentwicklung soll auf die urbanen Verdichtungsräume gelenkt werden, in den periurbanen Gebieten begrenzt werden und in den ländlichen Zentren und Ortskernen konzentriert werden. Noch konkreter: Bauliche Verdichtung in den urbanen Gebieten — keine neuen Bauzonen in ländlichen und periurbanen Räumen. Der Haken daran: Das alles soll auf freiwilliger Basis geschehen. Aber ohne griffige Handhabe wird die Zersiedelung und die Zerstückelung der Landschaft ungebremst weitergehen wie bis anhin.
Handlungsraum Luzern — Züri-Süd
Die Herausforderung bezüglich der klein- und mittelstädtisch geprägten Handlungsräume bestehe darin, sie im nationalen Umfeld besser zu positionieren. Zu Luzern steht im Konzept:
„Die Agglomeration Luzern ist als Kern eines Netzes von ländlichen Zentren prägend für den Raum. Sie erfüllt zentrale Funktionen für die Zentralschweiz und das Entlebuch und befindet sich gleichzeitig im Einflussbereich des Metropolitanraums Zürich sowie Zug. Hochschulen, Kultur und Tourismus verleihen der Region eine nationale und internationale Ausstrahlung.
Der Handlungsraum Luzern muss seine zukünftige Entwicklung in einem Spannungsfeld definieren: Er ist einerseits Teil des Metropolitanraums Zürich, andererseits Zentrum eines eigenständigen Raums.“ (S. 57)
Wenn die Region Luzern in diesem Spannungsfeld nicht zu Züri-Süd entwickeln soll, muss es sich — gemäss Raumkonzept Schweiz — als eigenständiger Raum profilieren, d.h. die eigenen Stärken in den Bereichen Kultur, Bildung und Tourismus ausbauen. Potenziale in der Spitzenindustrie sollten genutzt und ausgebaut werden etc. etc.
Dann sollen auf der Achse Luzern-Zug-Zürich die übergeordneten Verkehrsinfrastrukturen verstärkt werden, und zwar so, dass trotz zusätzlichem Verkehrsangebot die Zersiedlung des Raums zwischen Luzern, Zug und Zürich vermieden wird und seine landschaftlichen Qualitäten erhalten bleiben. Aber das Fell des Bären lässt sich nicht waschen, ohne dass es nass wird…
Ich habe nichts gegen zusätzliche Kapazitäten für die PendlerInnen nach Zug und Zürich, aber mit jedem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur ins metropolitane Zentrum wird Luzern stärker in den Metropolitanraum Zürich integriert — bestenfalls als kulturelles und touristisches Subzentrum, schlechtestenfalls nur als gehobenes und steuergünstiges Wohnquartier Züri-Süd.
16. Februar 2011 um 21:00 Uhr
Noch habe ich das Raumkonzept Schweiz nicht im Detail studiert (das wird aber sicher noch auf mich zukommen) aber mir scheint das alles ein bisschen viel Quadratur des Kreises. Und wer dann noch in einem der weissen Niemandsländer lebt, lebt gänzlich konzeptlos.
Ausserdem befremdet es mich, dass die Innerschweiz auf sechs verschiedenen Handlungsräume aufgeteilt wird. Oder empfinde etwa nur ich diese Region als Einheit?
18. Februar 2011 um 13:24 Uhr
REPLY:
davon ausgehen, dass eine winzige Minderheit die Zentralschweiz als Einheit versteht (das sage ich als ausgewiesene Kennerin der Materie). Die Zentralschweiz ist schon historisch betrachtet ein disparater Haufen. Während des Sonderbundskrieges 1848 schloss man sich zwar zusammen. Aber als die gegnerischen Truppen nach Luzern vorrückten, setzten die Urner auf Kantönligeist und wollten nur auf ihrem Territorium kämpfen. Was Wunder siegte, Gott sei Dank, der Bundesstaat.
Eine Zeitlang haben viele Politiker und auch eine gewisse Zeitung versucht, einen Geist der Einheit in der Region heraufzubeschwören. Aber es klappte nicht: Zuger und Schwyzer paktierten lieber mit Zürich als mit Luzern; Obwalden und Nidwalden geizten mit Beiträgen an die Luzerner Kultur, und überhaupt – ging es um Geld, dann fanden plötzlich alle die Luzerner arrogant und eigenmächtig. Die Idee Zentralschweiz verschwand vor vier, fünf Jahren in der Versenkung.
Mittlerweile haben die meisten Politiker gemerkt, dass der Begriff „Zentralschweiz“ unchic geworden ist. Ein bisschen riecht er schon fast nach „EU-Diktatur“.
Deshalb hängt man nicht an die grosse Glocke, dass es in einigen Bereichen eine Zusammenarbeit verschiedener Zentralschweizer Kantone gibt: bei den Hochschulen, im Polizeiweisen und… äh…
Eben… Kantönligeist. Deswegen wird es diese Region nie zu etwas bringen. Nicht einmal zu einem anständigen Eisenbahn-Verkehrsnetz.
Sorry, ich wollte im Fall keineswegs Dir gegenüber grob sein. Aber in dieser Frage bin ich -vielleicht – etwas bitter. Aber wenns nur in dieser Frage ist, kann ichs akzeptieren…
19. Februar 2011 um 13:28 Uhr
REPLY:
Als „Neuzuzüger“ mit Aussensicht muss ich Frau Frogg Recht geben: Die „Zentralschweiz“ oder „Innerschweiz“ funktioniert zwar als Regionsbezeichnung für die im Zentrum der Schweiz gelegenen Kantone, aber nicht als Region selber.
Fast alle anderen Kantone liegen am Rand der Schweiz und grenzen ans benachbarte Ausland. Ausser den Zentralschweizer Kantonen haben nur gerade Fribourg, Bern (im Berner Jura fehlen nur gerade 300 Meter), Glarus (wird manchmal zur Zentralschweiz gezählt) und die beiden Appenzell keine Aussengrenze. Quelle der Karte: http://www.arauntermarch.ch
Funktional ist die Zentralschweiz keine Region, allenfalls hat Luzern für Ob- und Nidwalden eine zentralörtliche Funktion, aber sicher nicht für Uri, Schwyz und Zug. Es gibt zwar Leute, die mit dem Tellbus von Altdorf nach Luzern pendeln, aber der Fall der Urner Zügelmänner, die ich vor Jahren im Zug kennenlernte und damals bei Welti Furrer in Zürich arbeiteten, dürfte weitaus häufiger sein.
Die Zentralschweiz ist als Region zu zersplittert und oft zu zerstritten, um als Region Region wahrgenommen zu werden. So kommt es, dass Luzern eher mit dem Aargau eine interkantonale Zusammenarbeit anstrebt als mit anderen Zentralschweizer Kantonen. Oder dass die Urner Eishockeyfans eher für Ambri-Piotta fanen als für den EV Zug.
Gefühlsmässig bilden am ehesten die Urschweizer Kantone eine Einheit: Die Leute in Uri, Schwyz und Unterwalden ticken anders als die Luzerner- und Zugerinnen. Die Urschweiz denkt „ländlicher“ und weniger weltoffen. Nichts illustriert dies schöner als die Abstimmung von 2002 über den Unobeitritt:
Persönlich mache ich gerne einen Ausflug ins Hinterland von Luzern, aber gefühlsmässig entspricht mein Blick auf die Schweiz und die Zentralschweiz der Aussicht von unserer Wohnung: Die Berge im Rücken und freie Sicht aufs Mittelland…