Wieder einmal ist im Schweizer Fernsehen das Beste nach Mitternacht gekommen. Letzten Donnerstag um 00.05 Uhr zeigte die CH:Filmszene Werner „Swiss“ Schweizers Dokumentarfilm Offshore – Elmer und das Bankgeheimnis über den Whistleblower Rudolf Elmer, die Offshore-Geschäfte der Zürcher Privatbank Julius Bär, den Untergang des Schweizer Bankgeheimnisses sowie eine Justiz, die einen Robin Hood überhart anfasst. Der von Samirs Dschoint Ventschr produzierte Dokumentarfilm ist interessant, faktenreich und gut gemacht — und noch wenige Tage online nachzusehen.

Werner Schweizers Dokumentarfilm Offshore – Elmer und das Bankgeheimnis (CH 2016, 102 Min., Schweizerdeutsch/D/E, deutsche Untertitel) ist aus rechtlichen Gründen nur wenige Tage auf CH:Filmszene von SRF nachzusehen, kann aber als Video On Demand für CHF 4.87 gestreamt oder für CHF 14.62 heruntergeladen werden.


Der Trailer zu OFFSHORE – ELMER UND DAS BANKGEHEIMNIS von Dschoint Ventschr Filmproduktion auf Vimeo.

In erster Linie ist Offshore die Lebensgeschichte eines Whistleblowers, die zeigt, wie der Sohn eines Zugführers Revisor wird, bei der Privatbank Julius Bär Karriere macht und als Offshore-Banker auf den Cayman Islands mithilft, Steuern zu hinterziehen und Drogengelder zu waschen, bis er 2002 ziemlich abrupt entlassen wird. Mit den Kundendaten als „Lebensversicherung“ versucht er zuerst, einen besseren Abgangsdeal zu bekommen, merkt dann aber je länger je mehr, wie brisant seine Kundendaten und wie dreckig die Offshore-Geschäfte seines ehemaligen Arbeitgebers sind. 2011 schliesslich übergibt er die Kundendaten an Julian Assanges WikiLeaks und wird damit definitiv zum Robin Hood der Bankenwelt, zum Kämpfer gegen die Offshore-Schlupflöcher und für einen „sauberen“ Finanzplatz Schweiz.

„Ich bin vielleicht ein bisschen reingestossen worden. Ich würde nicht sagen, dass ich ein Held bin oder ein Verräter.“
RUDOLF ELMER, Whistleblower

In zweiter Linie geht es um den Finanzplatz Schweiz, der schon lange wegen Geldwäscherei und als Steueroase in der Kritik steht. Der Film listet die Bankenskandale, die den Schweizer Finanzplatz in schöner Regelmässigkeit erschütterten, feinsäuberlich auf. Obwohl die Bankeninititive der SP, die das Bankgeheimnis abschaffen wollte, 1984 mit 73% Nein grandios scheiterte, gerät die hiesige Finanzindustrie immer stärker unter Druck: 1990 beschreibt Soziologieprofessor und Bankenkritiker Jean Ziegler in seinem Buch „Die Schweiz wäscht weisser“ das Schweizer Banksystem als Finanzdrehscheibe des internationalen Verbrechens. Als 1991 auch noch die Bank of Credit and Commerce International (BCCI) infolge des „grössten Betrugs in der Geschichte der Menschheit“ zusammenbricht, führen die Spuren der Geldwäscherei auch in die Schweiz. Der Schweizer Bankenplatz musste die Strategie ändern: Er verlagerte die Drecksgeschäfte auf Offshore-Bankenplätze.

„Es war eine Zeit, in der das Offshore-Geschäft sehr lukrativ wurde und wuchs. Zeitweise machten wir auf den Cayman Islands 40% des Konzerngewinns für die Julius-Bär-Gruppe — steuerfrei.“
RUDOLF ELMER, Offshore-Insider

Drittens zeigt der Film, wie das Schweizer Bankgeheimnis Schritt für Schritt abgebaut werden musste. Die UBS, die wir in der Finanzkrise von 2008 mit Steuergeldern retten mussten, weil sie too big to fail war, gerät ins Visier der US-Steuerbehörden, weil sie im grossen Stil ihre US-Kunden ermuntert, Steuern zu hinterziehen, und sie beim Steuerbetrug unterstützt. 2009 muss sich die UBS öffentlich entschuldigen, eine Busse von 780 Millionen US-Dollar bezahlen und die geforderten 250 bis 300 Kundendaten herausrücken. Das Bankgeheimnis war angeknackt. In der Folge weiten die US-Steuerbehörden ihre Untersuchungen auf weitere Banken aus. Ihr durchschlagender Erfolg führt dazu, dass auch andere Länder schärfer gegen ihre Steuersünder vorgehen, dass die OECD einen Common Reporting Standard ausarbeiten lässt und dass bis jetzt schon über 100 OECD-Länder diesen automatischen Informationsaustausch von Bankdaten eingeführt haben.

„Im Bezug zum Ausland (…) gibt es das Bankgeheimnis, das der Schweiz so viel Geld beschert hat, in Zukunft nicht mehr.“
MARC PIETH, Professor für Strafrecht

Aber gerade wegen der Verletzung des Bankgeheimnisses, das nur noch in der Schweiz gilt, wird Rudolf Elmer von der Zürcher Justiz — und das ist die vierte Schiene im Film — überhart angefasst. Als Elmer in der Auseinandersetzung mit der Bank Julius Bär um die Abgangsentschädigung nicht einfach klein beigibt, lässt Elmers ehemaliger Arbeitgeber seine ganze Familie durch ein Detektivbüro beschatten. Elmer ruft die Polizei zu Hilfe, was zum Abbruch der Beschattungsaktion führt. Im Gegenzug reicht die Bank Bär eine Anzeige gegen den Whistleblower ein. Elmer wird verhaftet und 2011 ein erstes Mal verurteilt. Zwei Tage davor übergibt er in London medienwirksam zwei CDs an WikiLeaks, was dazu führt, dass die Polizei ihn in einer filmreifen Aktion wie einen Schwerverbrecher erneut verhaftet. Insgesamt sitzt Elmer 220 Tage in Untersuchungshaft. Trotz Kreislaufkollaps lässt die Justiz Elmer antraben, riskiert seine Gesundheit und verurteilt ihn 2015 zwar nicht zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe, die der Ankläger gefordert hatte, aber zu einer Busse von 45’000 Franken. Elmer und seine Anwältin gehen in Berufung.

„Die Zürcher Justiz hatte in der Behandlung von Rudolf Elmer zehn Jahre lang eine Schlagseite Richtung Banken. (…) Das ist kein Ruhmesblatt für die Zürcher Justiz.
GIAN TREPP, Wirtschaftsjournalist

2016, im gleichen Jahr als der Film rauskommt, wird Rudolf Elmer von der zweiten Instanz freigesprochen, allerdings bezeichnet ihn der Vorsitzende des Obergerichts in der Urteilsbegründung als „gewöhnlichen Kriminellen“ (vgl. Wikipedia). 2018 wird Elmers Fall vor Bundesgericht verhandelt, das mit 3 zu 2 Stimmen das Urteil des Obergerichts bestätigt. Die NZZ schreibt, dass die Mehrheit der Richter befand, die Julius Bär habe einen Teil ihrer Geschäfte auf die Kaimaninseln ausgelagert und damit dem dortigen Recht unterstellt. „Die ausländische Gesetzgebung könne gewisse Vorteile haben, führte ein Richter aus. Die Kehrseite sei jedoch, dass die Institute im Ausland nicht mehr dem Schweizer Bankengesetz und somit nicht dem Bankgeheimnis unterliegen würden.“ (NZZ vom 10.10.2018)

Fazit 1: Schweizer Banken dürfen zwar ihre Drecksgeschäfte offshore tätigen, wo die Regulierungen lascher sind, können andererseits aber nicht darauf pochen, dass offshore auch das Schweizer Bankgeheimnis gilt, das inzwischen löcheriger ist als ein Emmentaler Käse. Well done, Ruedi!
Fazit 2: Der Dokumentarfilm Offshore dokumentiert nicht nur die Entwicklung des Bankenplatz Schweiz in einem globalen Umfeld, sondern auch die Aushöhlung des Bankgeheimnisses sowie den Widerstand in der Schweiz gegen die Drecksgeschäfte unserer Banken. Überaus sehenswert! Well done Swiss!

Swissflix

Im Zusammenhang mit guten Schweizer Filmen, die nur kurz in den Kinos waren, dann mitten in der Nacht einmal vom Schweizer Fernsehen ausgestrahlt werden und dann im Film-Nirwana verschwinden, geistern dieser Tage eine gute und eine schlechte Nachricht durch die Schweizer Kulturberichterstattung:
Die gute Nachricht: Das Bundesamt für Kultur plant eine eigene Streaming-Plattform für Schweizer Filme.
Die schlechte Nachricht: Es soll noch bis 2024 dauern, bis sie realisiert wird.
Mehr dazu z.B. hier (News) oder hier (Radio)