Es ist schon ein etwas irres Unterfangen, an die Solothurner Filmtage zu fahren und eine Woche lang täglich vier bis fünf Filme reinzuziehen. Letztes Jahr lag ich nach Filmtagen eine Woche krank im Bett — und dennoch habe ich es wieder getan. Diesmal wurde ich, von den viereckigen Augen einmal abgesehen, wenigstens nicht krank. Dank Corona-Pandemie habe ich nun Zeit und Musse, angefangene Blogbeiträge fertigzustellen, z.B. diesen Bericht von einem Kinotrip sondergleichen.

Während 7 Tagen (An- und Abreisetag habe ich als einen Tag gezählt) habe ich 30 Programmblöcke besucht: 22 Dokumentarfilme, 7 Spielfilme und 1 Konzert. Dennoch habe ich von den fast 120 langen Filmen, die in Solothurn gezeigt wurden, gerade mal einen Viertel gesehen — viel mehr ist aber fast nicht möglich. Einigermassen einen guten Überblick habe ich über die 24 Filme gewonnen, die für den Prix de Soleure sowie den Prix du Public nominiert waren. Davon habe 7 bzw. 8 von 12 gesehen. Hier meine Solothurner Auswahl:

22.1. 21:00 LH
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Warum Schnecken keine Beine haben
Aline Höchli | 2019 | Pan Short | Ani 10′ | –

Taste of Hope
Laura Coppens | 2019 | Pan Doc | Doc 70′ | Orig
22:30 UB null Puts Marie
Konzert
23.1. 09:15 LH null Der Esel hiess Geronimo
Arjun Talwar, Bigna Tomschin | 2018 | Pan Doc | Doc 80′ | Orig
14:00 RH null Bruno Manser – Die Stimme des Regenwaldes
Niklaus Hilber | 2019 | PdP | Fic 141′ | Orig
18:00 PA null Tupamaros
Heidi Specogna, Rainer Hoffmann | 1997 | Rencontre | Doc 95′ | Orig
21:30 CV null Step Across the Border
Nicolas Humbert, Werner Penzel | 1990 | Histoires | Doc 87′ | Orig — Hommage an Res Balzli
24.1. 09:15 LH null Das Forum
Marcus Vetter | 2019 | Pan Doc | Doc 90′ | Orig
11:00 KS
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Newspaper News
Sophie Laskar | 2019 | Pan Short | Ani 6′ | –

Silence Radio
Juliana Fanjul | 2019 | Pan Doc | Doc 78′ | Orig
17:30 KS null Le milieu de l’horizon
Delphine Lehericey | 2019 | PdP | Fic 92′ | Orig
20:30 LH null Citoyen Nobel
Stéphane Goël | 2020 | PdS | Doc 86′ | Orig
25.1. 09:15 RH null Al-Shafaq
Esen Isik | 2019 | PdS | Fic 98′ | Orig
12:00 CP null Nach dem Sturm
Beat Bieri, Jörg Huwyler | 2019 | Pan Doc | Doc 118′ | Orig
14:15 KS null Amazonian Cosmos
Daniel Schweizer | 2019 | Pan Doc | Doc 87′ | Orig
20:15 KS null Baghdad in my Shadow
Samir | 2019 | PdP | Fic 104′ | Orig
PRIX DU PUBLIC 2020
26.1. 09:15 LH null Das letzte Buch
Anne-Marie Haller, Tanja Trentmann | 2019 | Pan Doc | Doc 94′ | Orig
14:45 LH null The Song of Mary Blane
Bruno Moll | 2019 | Pan Doc | Doc 85′ | Orig
17:45 LH null Contradict
Peter Guyer, Thomas Burkhalter | 2019 | PdP | Doc 89′ | Orig
20:15 CB null Master of Disaster
Jörg Haassengier, Jürgen Brügger | 2019 | Pan Doc | Doc 79′ | Orig
27.1. 09:30 LH null Plötzlich Heimweh
Hao Hohl-Yu | 2019 | PdP | Doc 79′ | Orig
12:15 RH null Mon cousin anglais
Karim Sayad | 2019 | PdS | Doc 82′ | Orig
15:00 CV null Moka noir – No More Coffee in Omegna
Erik Bernasconi | 2019 | Pan Doc | Doc 93′ | Orig
17:30 KS null Jagdzeit
Sabine Boss | 2019 | PdS | Fic 90′ | Orig
20:30 LH null Where we Belong
Jacqueline Zünd | 2019 | PdS | Doc 78′ | Orig
28.1. 12:15 LH
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Average Happiness
Maja Gehrig | 2019 | Pan Short | Ani 7′ | –

Delphine et Carole, insoumuses
Callisto Mc Nulty | 2019 | PdP | Doc 70′ | Orig
15:00 CV null Wir Eltern
Eric Bergkraut | 2019 | Pan Fic | Fic 94′ | Orig
17:45 RH null Madame
Stéphane Riethauser | 2019 | PdP | Doc 94′ | Orig
20:45 RH null Moskau Einfach!
Micha Lewinsky | 2019 | PdP | Fic 99′ | Orig
29.1. 12:30 RH null Who’s Afraid of Alice Miller?
Daniel Howald | 2020 | PdS | Doc 101′ | Orig
14:30 LH
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Parparim
Yona Rozenkier | 2019 | Pan Short | Fic 7′ | Orig

À la recherche de l’homme à la caméra
Boutheyna Bouslama | 2019 | PdS | Doc 76′ | Orig
PRIX DE SOLEURE 2020
17:30 PA null Zeit der roten Nelken
Heidi Specogna | 2004 | Rencontre | Doc 98′ | Orig
Abkürzungen:
PdS = Prix de Soleure
PdP = Prix du Public
Pan Doc = Dokumentarfilme
Pan Fic = Spielfilme
Ani = Animationsfilm
Rencontre = Heidi Specogna
   Retrospektive
Legende:
Unbedingt anschauen!
Absolut sehenswert
Solalah, durchschnittlich
Lohnt sich nicht
Ärgerlich
Keinesfalls anschauen!

 
Schon letztes Jahr habe ich festgestellt, dass gewisse Themen immer wieder auftauchen und sich wie ein roter Faden das Programm ziehen — wahrscheinlich liegt’s daran, dass mich manches mehr interessiert und anderes weniger.

Vergangenheitsbewältigung

Vergangenheitsbewältigung ist so ein Thema: In Der Esel hiess Geronimo trauern ein paar Seeleute einer winzigen Ostseeinsel nach und fragen sich, warum sie so Krach bekamen, dass sie die Insel der Sehnsucht verlassen mussten. Bruno Manser – Die Stimme des Regenwaldes: Ein Schweizer Umweltaktivist kämpft leidenschaftlich gegen die Abholzung des Regenwalds und für die Bewahrung des Lebensraums der nomadischen Penan. Er bezahlt seinen auf der globalen Ebene letztlich erfolgreichen Einsatz mit dem Leben. Nicht alles in diesem etwas rührseligen Spielfilm mit betörenden Naturbildern beruht auf historischen Fakten, aber es ist eine plausible Interpretation der Geschichte des „weissen Penan“.

Vergangenheitsbewältigung ist nicht nur Heidi Specognas Dokumentarfilm Tupamaros von 1997, der aufzeigt, wie die berühmteste Stadtguerilla Lateinamerikas gegen das brutale Militärregime in Uruguay kämpft, vorerst verliert, nach Jahren dann aber doch gewinnt, sondern auch Zeit der roten Nelken, ein Portrait von Nadja Bunke, der Mutter von Che Guevaras Kampfgefährtin Tania La Guerrillera. Ihr Rückblick auf die neunzig Jahre ihres Lebens ist keine gnadenlose Abrechnung, sondern Streifzug durchs 20. Jahrhundert aus der Sicht einer überzeugten Sozialistin. Im Nachhinein bereue ich es, das ich mir nur zwei dieser guten Dokumentarfilme aus der Sektion „Recontre“, der Retrospektive über das Filmschaffen der Schweizer Regisseurin Heidi Specogna, angesehen habe.

Die Regisseurin Heidi Specogna war für mich eine Entdeckung. Die Solothurner Filmtage widmeten der in Berlin lebenden Filmemacherin eine Retrospektive.

Als politisch interessierter Mensch, der seit 1999 in Luzern lebt, war ich gespannt auf Nach dem Sturm, ein Dokumentarfilm, der sich mit den Auswirkungen von 1968 auf die Zentralschweiz auseinandersetzt. Hier waren die gesellschaftlichen Verhältnisse besonders unverrückbar zementiert. Die Luzerner Krawallnacht im Januar 1969 markierte den Beginn grundlegender, kollektiver und individueller Veränderungen, die der Film in allen Verästelungen nachzuzeichnen versucht. Das ist durchaus interessant — ich habe einiges über das Luzern und die Innerschweiz vor meiner Zeit erfahren, aber insgesamt ist der Film zu lang und zu überladen. Ich glaube, die Filmemacher Beat Bieri und Jörg Huwyler haben sich schwer getan, einige der vielen guten Geschichten, die sie zusammengetragen haben, fallen zu lassen.

Wirtschaftshistorische Vergangenheitsbewältigung betreibt der Tessiner Filmemacher Erik Bernasconi mit seinem Film Moka noir – No More Coffee in Omegna, der die Entstehung und den Niedergang des Haushaltsindustrie-Clusters in der piemontesischen Stadt Omegna dokumentiert. Die Geschwister-Unternehmen wie Bialetti, Alessi und Piazza nutzten den wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit und wurden weltbekannt. Mit ökonomischen Krisen, Generationswechseln, Globalisierung, Umsiedlungen und Arbeitskämpfen endeten die goldenen Jahre drastisch. Zurück bleibt eine grosse Leere in Form von verlassenen Fabriken, aber auch in den Herzen der lokalen Bevölkerung. Der schöne, etwas melancholische Schwarzweissfilm stellt die Frage nach dem Warum.

Die in London lebenden Exil-Iraker und -Irakerinnen in Samirs Spielfilm Baghdad in my Shadow werden von der unbewältigten Vergangenheit eingeholt oder gar heimgesucht. Samirs Exilanten-Thriller zeigt, wie unterschiedlich die Gäste, die im Café Abu Navas ihr zweites Zuhause gefunden haben, mit dem Schatten der Vergangenheit umgehen. Das Solothurner Publikum hat den Film zu Recht mit dem Prix du Public ausgezeichnet. Eher locker-flockig geht Micha Lewinskys Spielfilm Moskau Einfach! mit der Vergangenheit um: Der Fichenskandal von 1989 wird zum Hintergrund für eine Komödie à la Schweizermacher. Ein verdeckter Ermittler wird ins Schauspielhaus eingeschleust, um Informationen zu sammeln. Der Spitzel verliebt sich in eine Bespitzelte — was auf die Dauer natürlich nicht gut gehen kann, aber für gute Unterhaltung sorgt.

Hardcore-Vergangenheitsbewältigung sind die beiden Filme Who’s Afraid of Alice Miller? und À la recherche de l’homme à la caméra. Nach dem Tod der Psychologin Alice Miller macht sich ihr Sohn auf Spurensuche. Er will den Grund für seine von Gefühlskälte geprägte Kindheit verstehen. Dabei entdeckt er die dramatische Geschichte seiner jüdischen Mutter — eine packende und zugleich berührende Geschichte. Unendlich traurig und berührend ist auch die zweite Spurensuche: Die Tunesierin Boutheyna Bouslama macht sich auf die Recherche nach dem Kameramann, ihrem syrischen Jugendfreund Oussama. Auf der dreijährigen Odysee erlebt sie Phasen der Hoffnung, Angst, Entmutigung und Verzweiflung. Sie trifft Menschen, die den vermissten syrischen Medienaktivisten kannten und zeichnet das vielschichtige filmische Porträt einer unsichtbaren Person. Ihr Film hinterfragt die Macht des Kriegsbildes und seine Rolle als Erinnerung und Zeugnis von Kriegsverbrechen — und ist ein starkes Statement gegen die Praxis des Verschwindenlassens von Personen, um die eigene Zivilbevölkerung in Schach zu halten. Die Jury war beeindruckt und hat ihr und ihrer Genfer Produktionsfirma Close Up Films einstimmig den Prix de Soleure verliehen. Bravo!

Nobelpreisträger Jacques Dubochet ist ein Mensch, der nicht so gerne im Rampenlicht steht, aber seine gewinnende Art und sein trockener Humor sorgen dafür, dass der Film über den Citoyeen Nobel auch witzig und lustig ist — was seine Macher erst an der Premiere in Solothurn realisiert haben.

Portraits

Auch eine Art Vergangenheitsbewältigung sind filmische Portraits, die sich mit dem Leben eines Menschen, seiner Biographie und seiner aktuellen Situation auseinandersetzen. In meiner Auswahl finden sich einige gelungene und überaus sehenswerte Portraits. Neben den bereits erwähnten Filmen über Bruno Manser und Nadja Bunke sind es:

  • Silence Radio portraitiert die mexikanische Journalistin Carmen Aristegui, die 2015 von ihrem Radiosender entlassen wurde. Zielstrebig und furchtlos kämpfte sie darum, wieder auf Sendung gehen zu können, um ihr Millionenpublikum unbestechlich und unermüdlich über Korruption, mafiöse Strukturen und staatliche Misswirtschaft zu informieren — ein schwieriger und gefährlicher Kampf für den Fortbestand der Demokratie.
  • Citoyen Nobel über den Chemie-Nobelpreis-Träger Jacques Dubochet dreht sich um die Frage, was ein Mensch, der schlagartig berühmt wird, bewirken und seine Verantwortung als Forscher und Mensch wahrnehmen kann. Für mich ein Highlight, das im Kampf gegen den Klimawandel Mut macht.
  • Das letzte Buch zeichnet das ungewöhnliche Leben von Katharina Zimmermann nach. Es ist die Geschichte einer Pfarrfrau, die auf Mission im indonesischen Urwald neun Kinder grosszieht und sich trotz aller Widrigkeiten allmählich emanzipiert. Zurück in der Schweiz beginnt sie ein zweites Leben als Schriftstellerin.
  • The Song of Mary Blane: Bruno Moll portraitiert den Solothurner Kunstmaler Frank Buchser, der 1866 in die USA geschickt wird, um im Berner Bundeshaus die „Helden des Bürgerkriegs“ zu malen. Während seine ursprüngliche Mission in den Hintergrund tritt, interessiert sich Buchser mehr und mehr fürs Leben der Native Americans und der eben befreiten Sklaven — eine tolle Geschichte über einen Solothurner.
  • Plötzlich Heimweh ist ein hervorragendes Selbstportrait der chinesischen Filmemacherin Yu Hao. Anhand ihres Videotagebuchs eröffnet sie einen ganz neuen Blick aufs Appenzellerland und die Frage: Wo und was ist Heimat?
  • Madame ist ein schonungsloses Selbstporträt und ein filmisches Coming-out des schwulen Filmemachers Stéphane Riethauser. Mit dem Portrait seiner 90-jährigen Grossmutter und Archivbildern zeigt er, wie schwierig es war, sich in einer gutbürgerlichen Familie allmählich seiner Homosexualität bewusst zu werden.

Familiensachen

Fast alle oben erwähnten Portraits drehen sich auch um das Thema Familie, sind doch Leben und Handeln einer Person ohne familiäres Umfeld kaum nachzuvollziehen. In vier Filmen meiner Solothurner Auswahl ist die Familie, das Familiäre im Fokus: Le milieu de l’horizon spielt auf einem Bauernhof in the middle of nowhere. Der 13-jährige Gus spürt, dass die sengende Hitze nicht nur die Tiere und Felder heimsucht, sondern auch das Verhalten der Erwachsenen um ihn herum beeinträchtigt. In wenigen Monaten erlebt Gus, wie seine Familie mit der traditionellen Bauernwelt seines Vaters in die Brüche geht. Ein trauriger, aber starker Film übers Erwachsenwerden. Al-Shafaq spielt in der Schweiz und im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Abdullah, der seinen Sohn Burak im „Heiligen Krieg“ verloren hat, trifft auf den syrischen Jungen Malik, der im selben Krieg seine ganze Familie verloren hat. Dieses zufällige Zusammentreffen stellt sich für beide als schicksalhafte Chance heraus. Ein überaus sehenswerter Film über die dramatischen Auswirkungen des Dschihad und des Syrienkriegs auf Familien hie wie dort.

Einen ganz anderen Blickwinkel auf die Familie hat der Dokumentarfilm Where we Belong: Fünf Scheidungskinder erklären ihre Situation aus ihrer Sicht, ihre Eltern kommen zwar vor, aber nur am Rand. Ein erhellender Einblick in eine nicht mehr heile Familienwelt. Weniger ernsthaft und etwas klamaukiger ist der Spielfilm Wir Eltern: Ein fortschrittliches und engagiertes Paar wird von ihren Kindern, die sich im Hotel Mama & Papa bequem gemacht haben und sich ums Familienleben foutieren, zur Weissglut getrieben. Das Blatt wendet sich erst, als die Eltern in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ausziehen und ihren renitenten Nachwuchs dem Schicksal überlassen. Eine überspitzte Darstellung eines real existierenden Problems. Nur halbwegs ein Familienfilm ist Mon cousin anglais, denn der nach England emigrierte Algerier Fahed ist zwischen Stuhl und Bank geraten: Weder bei seiner Exfrau noch seinen WG-Kumpels hat er eine Ersatzfamilie gefunden, aber auch zurück in seiner Heimat in Algerien fühlt er sich fremd und in Sachen Familie will rein gar nichts klappen.

Und sonst?

Erstaunlich wenig habe ich zum Thema Arbeit und Veränderung der Arbeitswelt gesehen: Abgesehen vom bereits erwähnten Moka noir – No More Coffee in Omegna, der sich mit dem Untergang der norditalienischen Haushaltsindustrie beschäftigt, hat mir Taste of Hope von Laura Coppens recht gut gefallen. Er handelt von einer südfranzösischen Teebeutelfabrik, die von den Angestellten übernommen und in eine Genossenschaft umgewandelt wird, und von den Herausforderungen und Problemen, mit denen die genossenschaftlichen „JungunternehmerInnen“ konfrontiert sind: Es braucht z.B. plötzlich Fachleute, die ohne gute Bezahlung nicht zu bekommen sind, um die Produkte selber vermarkten zu können (vorher übernahm das der Mutterkonzern). Oder: Die lasche Arbeitshaltung einzelner MitarbeiterInnen mindert nicht mehr ein abstraktes Konzernergebnis, sondern schadet der eigenen Genossenschaft ganz konkret. Interessant war, dass in den flachen Hierarchien der genossenschaftlichen Teebeutelfabrik ganz ähnliche Probleme auftauchen wie im Kreuz Solothurn, das schon seit 1973 genossenschaftlich organisiert ist.

In scharfem Kontrast dazu steht die kalte und unbarmherzige Arbeitswelt, die Sabine Boss in ihrem Spielfilm Jagdzeit zeigt: Der brutale Machtkampf zwischen dem Finanzchef der Traditionsfirma Walser, die ums Überleben kämpft, und dem skrupellosen Turn-Around-Manager endet tödlich.



Trailer von auf youtube — statt „Ab März im Kino“ sollte es heissen: „Ab März in Realität“.

 
Durch das Corona-Virus erhält Master of Disaster von den deutschen Dokumentarfilmern Jörg Haassengier und Jürgen Brügger unerwartete Aktualität: Da spielen Blaulichtorganisationen und nationale Krisenstäbe kleine wie grosse Katastrophen durch. Die Spannweite reicht von der örtlichen Feuerwehrübung bis hin zu halben Weltuntergängen mit mehreren Tausend Teilnehmern und tausendseitigen Szenarien, die von spezialisierten Katastrophendesignern ausgeheckt werden. Ich hätte nicht gedacht, dass ihre abgründige Fantasie in nur zwei Monaten von der gespenstischen Realität einer weltweit grassierenden Pandemie überholt wird. Master of Disaster thematisiert auch die schleichende Erosion des Grundvertrauens in die Beherrschbarkeit der Welt und ihrer Probleme — dieser gesellschaftliche Vertrauensverlust, scheint mir, hat sich in Zeiten des Corona-Virus noch beschleunigt.

Fazit: Stimmungsvolle Filmtage mit vielen tollen Filmen, einer schönen Zeit im Kreuz Solothurn, das nicht nur ein hervorragende Basis für einen Festivalbesucher ist, sondern auch für mich auch ein Treffpunkt, wo ich alte Bekannte antreffe, und eine Gelegenheit, mit FreundInnen aus meiner Solothurner Zeit wieder einmal ausgiebig zu tratschen. Danke, liebes Kreuz!

Das Festivalzentrum der Solothurner Filmtage
auf der Kulturflaneur-Karte