Heute wird die älteste Genossenschaftsbeiz der Schweiz, das Kreuz Solothurn, fünfzig Jahre alt. Gestern war die Geburtstagsparty und viele ehemalige Genossenschafter:innen feierten mit den jetzigen Kreuzmitarbeiter:innen die nicht selbstverständliche Tatsache, dass das wohl bekannteste Kreuz der Schweiz immer noch existiert. Ich hätte mir gewünscht, dass etwas festlicher gefeiert wird, aber sei’s drum: Happy Birthday, dear Kreuz!
Vor zwanzig Jahren — ich hatte gerade angefangen, im Kreuz Kultur zu veranstalten — feierte das Kreuz seinen 30. Geburtstag nicht am 10. April, sondern am Nationalfeiertag, am 1. August 2003. Der Solothurner SP-Ständerat Ernst «Aschi» Leuenberger (1945 – 2009) machte aus seiner Erstaugustrede eine Dankes- und Gratulationsrede zum 30-Jahr-Jubiläum der Genossenschaft Kreuz:
«Wir feiern 30 Jahre Genossenschaft Kreuz, Solothurn.
Ein wenig feiern wir auch den Geburtstag der Eidgenossenschaft, die wird 712-jährig.
Genossenschaften sind beide. Die Eidgenossenschaft und die verschworene Genossenschaft Kreuz.»
Ernst Leuenberger, SP-Ständerat Solothurn
Nach zehn Jahren als KreuzKultur-Veranstalter war ich ein Insider und hatte manche Veränderung miterlebt. Zum 40. Geburtstag der Genossenschaft Kreuz schrieb ich deshalb unter dem Titel Happy Birthday, dear Kreuz! an dieser Stelle:
Es ist kaum zu glauben, aber das Kreuz Solothurn, die älteste Genossenschaftsbeiz der Schweiz, wird heute vierzig Jahre alt. Das Kreuz hat in dieser Zeit viele Auf und Abs erlebt, manchen alten Zopf abgeschnitten und manche Neuerung eingeführt. Nach der Gründung am 10. April 1973 war das Kreuz für viele SolothurnerInnen ein rotes Tuch, heute ist Solothurn ohne Kreuz nicht mehr denkbar. Die Genossenschaft hat sich ständig weiterentwickelt und ist auf eine gute Art und Weise älter geworden. Deshalb: Happy Birthday, dear Kreuz!
Kulturflaneur vor 10 Jahren
Seit 2018 bin ich nicht mehr fürs Unterhaltungsprogramm an Bord des Kreuz-Dampfers zuständig und beobachte die Entwicklung der ältesten Beizgenossenschaft der Schweiz mehr von Ferne. Obwohl der Kreuz-Dampfer während Corona in stürmischen Gewässern unterwegs war, hat er den Kurs auf die genossenschaftlich gute, «etwas andere Fress-Beiz» gehalten.
Die gesellschaftlichen Ansprüche aus den Kreuz-Anfängen, als der 1951 geborene Rolf Niederhauser über das Ende der blossen Vermutung schrieb, sind verblasst. Zum 50-Jahr-Jubiläum ist eine erweiterte Neuauflage erschienen mit einem Nachwort der 1995 geborenen Journalistin Sascha Britsko, die unter dem Titel «Und jetzt?» das Experiment «Kreuz» für gescheitert erklärt, um gleich zu präzisieren, dass die Utopie, im Kreuz bessere Formen menschlicher Gemeinschaft zu erarbeiten und das Zusammenleben anders zu gestalten, verblasst sei. Ihr Nachwort endet mit der Feststellung, dass das «Kreuz» in seiner ursprünglichen Form Geschichte sei, der Kreuz-Geist aber weiterlebe. Zur ständigen Unstrukturiertheit, die im Kreuz als einzige Konstante immer vorhanden sei, wie ein Party-Gast treffend analysierte, passt auch Sascha Britskos Beckett-Zitat:
«Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Versuch es nochmal. Scheitere erneut. Scheitere besser.»
Samuel Beckett
Die wirtschaftlichen Zwänge sind in der Gastronomie enorm gross, deshalb ist das Kreuz nicht mehr «Eine Beiz ohne Chef», wie Paul Riniker 1984 seinen Dokumentarfilm übers Kreuz Solothurn betitelte. Viele Protagonist:innen aus Rolf Niederhausers Buch und Paul Rinikers Film waren gestern an der Geburtstagsparty und haben auf 50 Jahre Kreuz angestossen — ein sehr schönes Zusammentreffen.
Nachtrag
Eine Woche nach der Geburtstagsfeier hat der Tages-Anzeiger einen — wie ich finde — sehr schönen zweiseitigen Artikel mit dem Titel Wo die Revolution begann (PDF). Autorin ist die oben bereits erwähnte Sascha Britsko. Sie lässt Rolf Niederhauser aus der Gründergeneration und Jana Krieg aus der heute aktiven Generation ausführlich zu Wort kommen und Bilanz ziehen — persönlich und zur Entwicklung der Genossenschaft Kreuz in einem gesellschaftlichen Umfeld, das sich in den letzten 50 Jahren stark verändert hat.
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