Über 760’000 Schweizerinnen und Schweizer leben im Ausland. Bevölkerungsmässig wäre die fünfte Schweiz, wie die Auslandschweiz auch gerne bezeichnet wird, der drittgrösste Kanton. Jeder und jede zehnte Schweizer Staatsangehörige wohnt somit nicht in der Schweiz — das ist zwar nicht Weltrekord, aber im weltweiten Vergleich eine doch sehr hohe Quote. In Brunnen, dem Ziel der 4. Etappe unserer Vierwaldstätterseeumwanderung, endet der Weg der Schweiz und deshalb gibt es hier einen Auslandschweizerplatz.
Etappe 4: Gersau – Brunnen
Stichwort 1: Prix Rando
Auch andernorts werden Wanderwege ausgezeichnet. Die Vereinigung zur Qualitätssicherung für Wandern in Österreich e.V. zum Beispiel zertifiziert erlebnisreiche Wanderwege mit dem Österreichischen Wandergütesiegel. Und in Deutschland zeichnet das Wandermagazin seit 2003 Deutschlands Schönste Wanderwege in den Kategorien Tagestouren und Weitwanderrouten aus. Seit 2013 wählt das Publikum die Gewinner.
In der Schweiz gibt es mehrere Organisationen, die auf ihren Webseiten eine Auswahl der schönsten Wanderungen präsentieren, z.B. 50 Top-Wanderungen der Schweiz auf wanderungen.ch, Top 32-Wanderungen auf wanderland.ch von SchweizMobil oder Top 10-Wandervorschläge auf wandern.ch des Dachverbands der Schweizer Wanderweg-Organisationen. Preise gibt es jedoch nur für besondere Leistungen, wie die Rekonstruktion oder der Neubau von Wanderwegen (Prix Rando alle zwei Jahre), den Ersatz von asphaltierten Strecken durch hartbelagsfreie Wanderwege (Prix Rando Sonderpreis alle zwei Jahre) sowie für familienfreundliche Wanderwege (NIVEA-Förderpreis jedes Jahr). Der Prix Rando (Rando ist eine Kurzwort für das französische Wort la randonnée, dt. Wanderung oder Ausflug) ging dieses Jahr an Minusio für die Rekonstruktion des Wanderwegs Cordonico-Ronco di Bosco, an Brunnen für den Neubau des Wanderwegs Brünischart-Fallenbach und an Winterthur für den neuen Rundweg Winterthur. Mit dem Prix Rando Sonderpreis 2016 wurde der Walserweg Safiental ausgezeichnet, der mit der Verlegung der Strecke Rüti – Safien Platz die Säumerpfade wieder zum Leben erweckt hat.
Stichwort 2: Hochhaussanierung
Wenn ein Gebäude „Schiller A“ heisst und ich dann auch noch daran vorbeiwandere, erweckt das meine Aufmerksamkeit — handelt es sich doch beim 1975 erbauten Hochhaus um das höchste Wohnhaus im Kanton Schwyz und mit 97 Eigentümern um eine der grössten Stockwerkseigentumsgemeinschaften (STWEG) überhaupt. 2008 zeigte sich, dass diverse Schäden an der Fassade saniert werden mussten. Zudem war der Energieverbrauch mit ca. 140’000 Liter Heizöl pro Jahr exorbitant hoch. Deshalb liess die STWEG ein Vorprojekt mit Kostenschätzung für verschiedene Sanierungsvarianten erarbeiten. Die Kosten der schliesslich ausgeführten Variante wurden auf fünf Millionen veranschlagt, was dazu führte, dass das Projekt an der Generalversammlung abgelehnt wurde, weil der Erneuerungsfonds nur einen Saldo von einer Million aufwies. Eine Arbeitsgruppe erarbeitete in der Folge ein Finanzierungskonzept mit abgestuften Einmaleinlagen, das an der Generalversammlung 2010 von 80% der Eigentümer gutgeheissen wurde.
Die Sanierung von Schiller A kam zu einem guten Abschluss: Am Ende verblieb vom Sanierungskredit noch genügend Geld, dass auch noch die Eingangshalle aufgefrischt werden konnte, was diese Erfolgsgeschichte vollends abrundet (Quelle dieser Sanierungsgeschichte: projekte.baudokumentation.ch).
Stichwort 3: Die fünfte Schweiz
Es gibt ja viele Schweizen (vgl. mein Eintrag Schweiz — sächsische Schweiz), die offizielle Zählung kommt allerdings nur auf fünf: die Deutschschweiz, la Suisse romande, la Svizzera italiana, la Svizra rumantscha sowie die Auslandschweiz.
Inzwischen sind es über 760’000 Schweizer und Schweizerinnen, die im Ausland leben — nach den bevölkerungsreichsten Kantonen Zürich und Bern wäre die Auslandschweiz der drittgrösste Kanton. Anlässlich der 700-Jahr-Feier der Gründung der Eidgenossenschaft 1991 entstand der Weg der Schweiz als Geschenk der Kantone an den Bund. Der knapp 35 km lange Weg wurde in kantonale Abschnitte unterteilt, deren Länge der Wohnbevölkerung des jeweiligen Kantons entsprach (5 mm = 1 EinwohnerIn). Die Reihenfolge der Abschnitte ergab sich nach dem Beitrittsjahr zum Bund. Auch für die Repräsentation der Auslandschweiz fand man eine Lösung: Die fünfte Schweiz bekam in Brunnen einen eigenen Platz, den Auslandschweizerplatz:
Die Schweiz ist nicht nur ein Einwanderungsland, sondern — bezüglich Migration der eigenen BürgerInnen — auch ein Auswanderungsland. Und das schon seit langem: Seit dem Mittelalter hatte die Schweiz eine negative Migrationsbilanz. Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts wandelte sich die Schweiz von einem Aus- zu einem Einwanderungsland. Die Auswanderung Schweizer BürgerInnen hält an: 1950 lebte jeder und jede zwanzigste SchweizerIn im Ausland, heute schon jeder und jede Zehnte — Tendenz steigend.
Während die Emigration aus Ländern mit tiefen Einkommen schon immer ein Thema war, rückte in letzter Zeit auch die Auswanderung aus Hocheinkommensländern (vgl. oben erwähnte Dissertation) ins Blickfeld. Der Braindrain wird auch für viele OECD-Länder zu einem Problem. In der Schweiz wird allerdings die relativ grosse Auswanderung gut ausgebildeter SchweizerInnen durch die Einwanderung gut ausgebildeter AusländerInnen mehr als kompensiert.
Stichwort 4: 100 Jahre Auslandschweizer-Organisation
Nicht nur der Weg der Schweiz und der Auslandschweizerplatz in Brunnen feiern 2016 ein Jubiläum, sondern auch die 1916 mitten im Ersten Weltkrieg gegründete Auslandschweizer-Organisation (ASO). Diese Dachorganisation von rund 750 Schweizervereinen und schweizerischen Institutionen in aller Welt vertritt die Interessen der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer in der Schweiz. Sie informiert die Landsleute im Ausland über das Geschehen in der Schweiz. In den hundert Jahre ihres Bestehens hat sich ihr Angebot von der Heimkehrerhilfe zur umfassenden Dienstleistungspalette erweitert.
Die fünfte Schweiz hat ein ambivalentes Verhältnis zu den anderen vier Schweizen. Von den 762’000 AuslandschweizerInnen sind 148’000 im Stimmregister eingetragen — es beteiligen sich also weniger als ein Fünftel aktiv am politischen Geschehen in der Schweiz. Noch weniger, nämlich rund 23’000, sind in einem der zahlreichen Schweizervereine aktiv. Bislang wurde der 140-köpfige Auslandschweizerrat aus diesen 3% Aktiven rekrutiert, neu reicht es, im Stimmregister registriert zu sein, um für das Parlament der fünften Schweiz kandidieren zu können. Zu ihrem 100. Geburtstag macht die ASO also einen dringend notwendigen Demokratisierungsschritt, um nicht als Altherren-Club in der Bedeutungslosigkeit zu versinken (vgl. Bericht der Sonntagszeitung vom 7.8.2016 zum Auslandschweizer-Kongress, der letztes Wochenende in Bern stattfand).
Es ist ja nicht so, dass die fünfte Schweiz überhaupt keinen Einfluss hat. Kürzlich haben die Stimmenden im Ausland, die sich an Eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen beteiligen dürfen, eine Abstimmung gedreht: Die Abstimmung über die Revision des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) wurde am 14. Juni 2015 mit 50.02% hauchdünn angenommen. Der Ja-Stimmen-Überhang betrug lediglich 3649 Stimmen. Nur 12 Kantone weisen die Stimmen ihrer Auslandschweizer separat aus, aber allein bei diesen Stimmen ergibt sich aus 19’947 Ja und 11’708 Nein eine Differenz von 8239 Stimmen. Diese reichte bei weitem, um das Resultat aus den vier Inlandschweizen von einem Nein in ein Ja zu kippen (vgl. Der Bund vom 16.6.2015). In der Regel stimmt die fünfte Schweiz weltoffener und sozialer als die ersten vier Schweizen.
Fazit
Die Etappe von Gersau nach Brunnen führt nicht nur über preisgekrönte Wanderwege, sondern hat mich auch zu zwei überaus interessanten Recherchen zum Hochhaus Schiller A und zum Auslandschweizerplatz in Brunnen verleitet: Die Sanierung von Bauten aus den 70er Jahren wird mit dem Klimawandel noch vermehrt zu einem Thema werden. Wichtiger wird auch die fünfte Schweiz, die mit der Globalisierung noch an Bedeutung gewinnen wird.
18. Dezember 2016 um 7:33 Uhr
Guter Bericht ueber die 5. Schweiz, danke. Auch ich als Auslandschweizer habe Fakten erfahren, die mir vorher nicht bekannt waren. Bei der Grafik mit dem Brain Drain duerfte auch eine Rolle spielen, dass die Schweiz prozentual nicht uebraus viele Einwohner mit tertiaerer Ausbildung hat, vergleichbar vermutlich mit DE, AT, FR, IT, aber viel weniger als beispielsweise in Suedostasien und Fernost. In Korea hatte meine Sekretaerin einen BS in Physik, jeder Techniker hatte Uni-Ausbildung, dasselbe in Taiwan. Ich wohne nun im Ruhestand im Norden Thailands, dasselbe, ohne Uni-Abschluss kein Job auf der Bank oder sogar im Buero. Ueber das Niveau wollen wir besser nicht reden 😉
PS: Ich habe ueber das Freitagstexten hierher gefunden. Schoene Bilder haben Sie oben im Banner.
21. Dezember 2016 um 14:46 Uhr
Lieber Houdini,
danke für die Blumen. Möglicherweise führt unser duales Berufsbildungssystem dazu, dass tatsächlich weniger Leute eine Hochschule absolvieren. Ich bin mir aber sicher, dass die vergleichsweise tiefe Quote tertiär Gebildeter nicht der einzige Grund für den Fachkräftemangel und die Zuwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften ist. Vielmehr glaube ich, dass die Schweizer Wirtschaft mit ihren innovativen Nischenprodukten mehr Brainpower braucht als andere Volkswirtschaften. Deshalb sollten wir uns keinesfalls vom Ausland abschotten.
Grüsse nach Thailand