Lehrpfade soweit das Auge reicht: Die grassierende „Lehrpfaditis“ sorgt dafür, dass jeder Spaziergang zu einem Lehrstück wird.
Im Land von Pestalozzi ist das Spazieren ohne Lernziel und neue Erkenntnis bald nicht mehr möglich. Es gibt Orte, wo sich drei, vier Themenwege überlagern. Wer von Emmenbrücke der Reuss entlang abwärts geht, soll sich gleichzeitig mit unserem Sonnensystem, dem Ökosystem des Flusses und 50 Holzskulpturen auseinandersetzen. Etwa hinter jedem zehnten Baum lauert da ein Planet, eine Lehrtafel oder geschnitztes Kunstwerk auf den arglosen Spaziergänger.
Die Kulturgeschichte des Lehrpfads beginnt mit den Höhlenbewohnern. Schon diese Steinzeitmenschen führten ihre Kinder mit Wandbildern in die Theorie der Mammut-Jagd ein. Später dann waren Lehrpfade religiösen Themen gewidmet: Die standardisierten Kreuzwege, die mit 14 Stationen den Leidensweg Christi thematisieren, können durchaus als Urmodell des Themenwegs gelten. Der erste offizielle Lehrpfad entstand gemäss Wikipedia 1925 im „Palisades Interstate Park“ in New York und New Jersey. Seither hat sich der Lehrpfad unaufhaltsam ausgebreitet – heute gehört er in der Schweiz zum Standardinventar jedes Naherholungsgebiets.
In der Themenweg-Datenbank des Instituts für Umwelt und Natürliche Ressourcen in Wädenswil sind sie alle erfasst: von A wie Aaschlucht Grafenort bis Z wie Zwärgliweg Bannalp. Für den Kanton Luzern listet die Datenbank 34 Lehrpfade auf – die Liste wird laufend erweitert. Haben Sie gewusst, dass es in Luzern und Littau vier Naturlehrpfade, etliche naturkundliche Rundgänge und einen Klimaweg (vom Obergütsch ins Eigental) gibt? Und nichts wird von der Lehrpfaditis verschont: In Giswil muss der Schacher-Seppli zuerst den kürzlich zu seinem Gedenken eröffneten Erlebnisweg abwandern, bevor er durch die Himmelstür eintreten kann…
11. Oktober 2010 um 20:57 Uhr
Herr T. – pardon! – Herr Kulturflaneur, ich habe Sie sofffort abonniert. Ungelesen. Und ich bereue es auch nicht, nachdem ich mir nun Ihren ersten Eintrag zu Gemüte geführt habe.
11. Oktober 2010 um 23:25 Uhr
Soeben zurück aus dem Berner Oberland, können wir von der alpinen Ausführung neuester Lehrpfade berichten. Wir haben in Lenk mit den Kindern den Murmeli- und den Luchstrail abgewandert. Gewiss: schon nur die Verschmelzung helvetischen Jö-herzig-Tiernamen wie Murmeli für Murmeltier mit dem Outdoor-adventure-trächtigen „Trail“ ist wenig erfreulich. Was aber funktioniert hat, und das muss man – gut gemachten – Lehrpfaden zugestehen: Die Kinder sind top motiviert bergauf und bergab marschiert! Sie haben die hübschen Balacier-, Krabbel-, Seh- und Hörgelegenheiten in einheimischem Holz intensiv getestet.
Das Top-Erlebnis war dann trotzdem das unverhoffte dahinflitzende, richtig lebendige Murmeltier! Vielleicht hast du einfach nicht gut aufgepasst und den echten Seppeli-Geist nicht gesehn?
Trotz familiärer Begeisterung gehe ich mit dir einig: das Flanieren fällt heute schwer, weil immer schon jemand den Pfad präpariert hat… da freue ich mich umso mehr auf den Kulturflaneur und seine Entdeckungen abseits der Trampelpfade!
11. Oktober 2010 um 23:51 Uhr
REPLY:
Danke für den Vertrauensvorschuss!
13. Oktober 2010 um 10:32 Uhr
ja ich muss schon sagen, dieser Skulpturentrail an der Reuss dient niemand anderem, als der SVP, um dort ihren hinterwäldlerischen Vitaparcour zu absolvieren.
Toller Bericht ! Bitte grüss mir Frau Frogg ganz herzlich, denn dank ihr bin ich jetzt hier und somit endlich auch als Kommentarverfasserin bei ihr.