Mit ihrem Rückzug der zugesagten 100 bis 120 Millionen für den Bau der Salle Modulable haben die „anonymen“ Geldgeber kulturpolitisch einen gewaltigen Flurschaden verursacht. Es war eine böse Überraschung – und viele Luzernerinnen und Luzerner reiben sich immer noch ungläubig die Augen.
Die Geldgeber um den kürzlich verstorbenen Mäzen Christof Engelhorn begründen den Rückzug mit den vielen Ungewissheiten bezüglich Standort, Bau- und Betriebskosten. Diese Begründung ist – gelinde gesagt – ein bisschen lusch, war doch das Projekt Salle Modulable gar nicht so schlecht unterwegs: Mit dem Lido ist realistischer Standort gefunden worden und Anfang 2011 hätte die Planungsgesellschaft ein Gesamtkonzept präsentiert, das man hätte diskutieren können.
Stattdessen entzieht die hinterbliebene Gönnerschaft der Salle Modulable die finanzielle Basis und hinterlässt kulturpolitisch einen gewaltigen Flurschaden. Schade um die bereits in die Planung investierten 5.75 Millionen, schade um die vielen Diskussionen, die rund um dieses Projekt bereits geführt worden sind, schade um die für nichts und wieder nichts verpuffte Energie! Schade auch um die vielen verpassten Chancen für eine Neuorientierung der Kulturstadt Luzern!
Anfänglich waren die Initianten der Salle Modulable der Ansicht, man dürfe einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen, bald haben sie aber eingesehen, dass dieses Projekt ohne Unterstützung der Öffentlichkeit, ohne zusätzliches Geld von Stadt und Kanton und ohne den Support der gesamten Luzerner Kulturszene nicht realisiert werden kann. Denn von Anfang an war klar, dass eine Investition von 100 Millionen in eine Musiktheaterinfrastruktur Folgekosten von x Millionen Franken für den Betrieb nach sich zieht.
Bestenfalls ist zu vermuten, dass der notwendige demokratische Prozess mit ungewissem Ausgang den edlen Spendern zu lange ging und sie deswegen die Geduld verloren, aber in einer demokratischen Gesellschaft kann man nicht einfach mit den Millionen wedeln und meinen, dass alle „ja und amen“ sagen. Böswilliger ist die Interpretation, dass die Hinterbliebenen mit der grosszügigen Spende des Stifters nicht einverstanden sind und auf diesem Weg versuchen, sie rückgängig zu machen. Es ist deshalb gut zu verstehen, dass die treibenden Kräfte hinter der Salle Modulable unbeirrt weiterplanen und versuchen, doch noch an das versprochene Geld heranzukommen.
So oder so hinterlassen die „anonymen“ Geldgeber einen Scherbenhaufen. Mit der Salle Modulable hätten tatsächlich etliche Probleme auf einen Schlag gelöst werden können. Jetzt müssen neue Lösungen erarbeitet werden: Die marode Infrastruktur des Luzerner Theaters zum Beispiel muss so oder so saniert werden. Auch der Raumbedarf der Hochschule Musik muss irgendwie befriedigt werden. Und last but not least braucht es ein neues Gleichgewicht in der Verteilung der Luzerner Kulturgelder. Die Folgen dieses kulturpolitischen GAUs werden uns also noch einige Zeit beschäftigen. Wichtig ist, dass die durch die Salle Modulable angestossenen Prozesse nicht einfach gestoppt, sondern in anderer Form weitergeführt werden. Dies gilt ganz besonders für die Debatte über die Finanzierung der Luzerner Kultur. Deshalb braucht es jetzt erst recht einen neuen Kulturstandortbericht.
1. Januar 1970 um 0:00 Uhr
Ist es wirklich schade, dass das von Privat-Gutmensch-US-Amerikaner-mit-Greisenresidenz-am-Seebecken der Kleinstadt diktierte „Kultur“-Programm von seinen Erben als minder wichtig erachtet wird als ihre eigenen Spekulationen? Ist es denn zu beklagen, dass ein Projekt, das in Paris scheiterte (als noch keine Wirtschaftskrise herrschte und der Dollar unbestrittene Leitwährung war), aber nun plötzlich in Winz-Luzern möglich schien (wer hat das genau gewollt, gestützt, nachgerechnet?), in der heutigen Optik nicht ganz so vergreister Erben als eine Art ’non sequitur‘ eben nicht ernst genommen und dann konsequenterweise gecancelled wird? Sollten wir nicht lieber Luzern glücklich preisen, dass es den Druck, die wenigen Kulturgelder nun auf ein erneutes Leuchtturmprojekt ausrichten zu können, sich zwingen muss, endlich Farbe zu bekennen, was denn eine *eigene* Kulturpolkitik sein könnte?
Von Herzen würde ich gerne ja antworten auf meine letzte Frage; doch Luzern (ein bisschen) kennend zögere ich — wann hat denn Luzern zum letzten Mal eine eigene Kulturpolitik formuliert? Wann hat Luzern wirklich gefunden, was Luzern ausmacht, kulturell und kulturpolitisch?
Die genannten Probleme (Unterhalt von Infrastruktur und Raumprobleme, Verteilungsgleichgewicht der Förderung) bestehen nicht erst seit dem Traum der Salle Modulable. Sie bestanden auch am Beginn des Traums vom KKL. Für das KKL haben die strukturellen Massnahmen der kulturellen Gentrifizierung das Stadtbild einigermassen bereinigt. Mehr gibt das Substrat allerdings nicht her. Kulturpolitiker mögen das anfangs gehofft haben. Die Realität ist, wie die Diskussion gezeigt hat, eine andere. Die „Investoren“ mögen diese Realität nicht, denn sie ist der Profitmaximierung im Wege. Die kulturpolitische Diskussion, die sich aus Gefälligkeit — eine Hand wäscht die andere, nach altem Rezept — dieser Realität gestellt hat, zumindest formell, sieht sich jetzt mit einer viel krasseren Situation konfrontiert: die Probleme sind öffentlich, benannt und anerkannt, das Wunschbild der Salle cashable aufgegangen im Herbstnebel. Was bleibt ist das Weinen umd weiteren Weltruhm und das Wissen, dass die Kultur sich strukturell und ökonomisch verändert hat, seit das letzte Mal, und das vorletzte Mal darüber tonnenweise Papier besudelt wurde.
Vielleicht ist es Zeit, für einen neuen Kulturbericht. Anforderung müsste dann sein, dass er nicht mehr als hundert Seiten zählt, inklusive Anhang, und dass sowohl lokal wie global abgedankte Luftballons („kreative Industrie“ und „konfigurierbare Bespielungsformen“) darin keinen Platz finden dürfen…
20. Oktober 2010 um 14:59 Uhr
REPLY:
Lieber Peter
Die Salle Modulable, die im übrigen nur noch wenig mit der ursprünglichen Pariser Idee zu tun hat, ist nicht mein Lieblingsleuchtturm in Luzern. Dennoch ist es schade, dass sich das Projekt in Schall und Rauch aufgelöst hat, ist doch zu befürchten, dass Stadt und Kanton die Sanierung des Luzerner Theaters, die je nach Variante 17 bis 80 Millionen kostet, aus regulären Steuergeldern berappen müssen und deshalb für die „übrige“ Kultur nicht mehr sondern weniger Mittel zur Verfügung stehen.
Auch beim KKL besteht bereits ein Sanierungsbedarf von gegen 25 Millionen – frag mich nicht warum, ist doch das KKL erst 10 Jahre alt. Andererseits ist der Stadtrat daran, sein nächstes Sparpaket zu schnüren. Da liegt die Chance, dass Luzern gleichzeitig die Kulturgelder aufstockt, bei weniger als 0.0%.
Zugegeben, abgesehen von der breiten Debatte über die Salle Modulable liegt die letzte grosse kulturpolitische Debatte nun schon länger zurück. Rosie Bitterlis Kultur-Standort-Bericht von 2001 stellt fest, dass Luzern in erster Linie eine Musikstadt und in zweiter Linie eine Festivalstadt sein soll. Ob das dem kulturpolitischen Wunschbild der Stadtbevölkerung entspricht, bleibe dahingestellt, ich für meinen Teil bin froh, dass die Stadt Luzern auch andere Kulturbereiche fördert, würde mir aber bei der städtischen Kulturförderung etwas weniger Giesskanne und etwas mehr Profil wünschen.
Deshalb ist die Zeit für einen neuen Kultur-Standort-Bericht tatsächlich reif: Dieser Bericht muss zuerst analysieren, welche Ziele des alten Berichts erreicht wurden und welche nicht, dann eine Auslegeordnung machen und untersuchen, wo in der Kulturförderung Nachholbedarf besteht, und schliesslich die zur Verfügung stehenden Mittel entsprechend umverteilen. Der kulturpolitische GAU mit der Salle Cashable zeigt – da gebe ich Dir recht: Luzern muss seine Kulturpolitik von Grund auf neu denken.
20. Oktober 2010 um 18:02 Uhr
Meine erste Reaktion auf die Nachricht war: „Gott sei Dank!“ Weil: Ich habe in dieser Stadt schon viele nebulöse Diskussionen erlebt. Doch diejenigen um die Salle Modulable waren nicht nur nebulös, sie bauten Luftschlösser im Nebel. Unbekannte Geldgeber, unklare Konzepte, unklarer Standort, da viele Wunschträume, dort instinktmässige Ablehnung. Jetzt hat der Nebel sich verzogen. Bei Licht sieht die Realität ein bisschen hart aus.
Für die Planer heisst es: zurück auf Feld A. Aber es dürfen jetzt auch Fragen erlaubt sein wie: Brauchen wir wirklich ein grösseres Luzerner Theater?