In der letzten Augustwoche hatten wir eine Woche Ferien, zuerst wollten wir zwei, drei Tage wegfahren, haben uns dann aber entschlossen, Kultur von zu Hause aus zu geniessen und einige Kulturausflüge zu unternehmen. Ein Rückblick in Bildern auf eine erlebnisreiche Woche mit Kultur.

SA 24.8. — Villa Himmelrich

Der 1772 erbaute, herrschaftliche Landsitz in unserer Nachbarschaft fasziniert mich, seit wir im Himmelrich 3 wohnen (vgl. Blog auf hi3.lu vom 25.11.2020). Während der Quartierverein Hirschmatt-Neustadt die Geschichte der Villa Himmelrich auf seiner Homepage präsentiert, organisierte der Quartierverein Obergrund anlässlich seines 150-Jahr-Jubiläums eine Führung Hinter den Kulissen der Villa Himmelrich. Diese Besichtigung mit einem der Himmelrich-Erben war für mich ein willkommener Anlass für eine Update meines Blogbeitrags von 2020, denn mit dem Verkauf der Grundstücke und Gewerbebauten um den herrschaftlichen Park haben die Erben einen Prozess angestossen, der unsere Nachbarschaft einschneidend verändern wird: Neues vom Mooshimmel.

SO 25.8. — Mein Rachmaninoff

MEIN RACHMANINOFF — Sergey Tanin in der Villa Senar (Promobild des Dokumentarfilms)

Fasziniert bin ich auch von der Villa Senar, die der russische Pianist, Komponist und Dirigent Sergei Rachmaninow (1873-1943) in den 1930er Jahren am Vierwaldstättersee erbauen liess. Das Stattkino Luzern zeigte den Dokumentarfilm MEIN RACHMANINOFF — Sergey Tanin in der Villa Senar: Der überaus sehenswerte Film von Svetlana Rodina und Laurent Stoop (Schweiz 2023, 50 min, D) und das nachfolgende Gespräch mit Sergey Tanin liessen die Sommermonate von 1933 bis 1939, die Rachmaninoff in seiner Villa im Stil des Neuen Bauens verbrachte, wieder aufleben und brachten mir seine wundervolle Musik näher. Die Serge Rachmaninoff Foundation kuratiert und organisiert das Kultur-Programm in der Villa Senar.

MO 26.8. — Lausanne

Schon die Reise nach Lausanne ist ein Erlebnis, aber dass Bahnreisende aus der Deutschschweiz beim Blick aufs Lavaux und den Lac Léman, der sich nach dem Cornallaztunnel bei Puidoux auftut, ihr Retourbillett zerreissen, ist ein schönes Gerücht und für uns völlig abwegig, sind wir doch mit GA und Fairtiq unterwegs. Lausanne, die Waadtländer Kapitale, ist uns nicht gänzlich unbekannt, dennoch gibt’s hier immer etwas zu entdecken: der 1844 fertiggestellte Grand-Pont etwa, der mitten in der Stadt das Flon-Tal überbrückt.

In der Lausanner Kathedrale besuchten wir das Grabmal von Otton de Grandson (1238–1328), einem sehr alter Bekannter von uns (vgl. Sieben Ferien-Highlights aus der Nordwestschweiz und Zehn Highlights einer England-Wales-Rundreise I). Er war ein enger Freund und Berater von König Eduard I., der u.a. Wales eroberte. Wegen seiner aussergewöhnlichen Karriere am englischen Königshof und als einer der erfahrensten Militärs und Diplomaten seiner Zeit war Otton de Grandson schon zu Lebzeiten berühmt. Es gibt kaum eine Figur in der englischen Geschichte, die ein so langes Leben hatte, so weit reiste und eine solch abenteuerliche und vielfältige Karriere wie Grandson hatte.

Am Ende unserer Visite in Lausanne stand das Photo Elisée auf dem Programm, eines der neuen Museen der Plateforme 10, wie das unmittelbar neben dem Bahnhof Lausanne entstandene Quartier des Arts heisst. Hier gabs drei Ausstellungen, die alle irgendwie interessant waren: «Set and Setting» von Tamara Janes, die mit ihren bearbeiteten Bildern den Grenzen des Copyrights entlangschliddert, Sabine Weiss x Nathalie Boutté — eine Hommage zum hundertsten Geburtstag der Fotografin Sabine Weiss (1924-2021) — sowie die selten schön abgelichteten Brombeerstauden von Olga Cafiero, die eine Carte blanche erhalten hat, um in den Sammlungen des Naturéum zu arbeiten.

DI 27.8. — Chaïm Soutine


Den Tipp für das Highlight dieser Kulturferienwoche gab uns die Tagesschau vom 20.8.2024 mit einem dreiminütigen Bericht über die umfassende Werkschau «Chaïm Soutine – Gegen den Strom» im Kunstmuseum Bern.

Zusammen mit einem befreundeten Paar aus Bern besuchten wir die Ausstellung Chaïm Soutine – Gegen den Strom im Kunstmuseum Bern — und waren begeistert. Die dünnen Heringe mit den grossen Augen lassen ein Hungergefühl aufkommen. Die expressionistisch gemalten Dörfer und Landschaften sind drauf und dran davonzulaufen. Die von Chaïm Soutine portraitierten „kleinen Leute“ wollen uns mit ihren ausdrucksstarken Gesichtern etwas sagen, so dass ich mir einen Spass daraus machte, imaginäre Sprechblasen auszudenken. So sagt der Petit Pâtissier, der leicht erschöpft eine Pause macht: «Hätte ich eine Zigi, würde ich jetzt eine rauchen.» Besucher:innen sollten den eigens zur Ausstellung produzierten Interviewfilm «Chaïm Soutine. A World in Flux» (Chaïm Soutine. Eine Welt im Fluss) im Soussol oder im empfehlenswerten Digital Guide ansehen — sieben zeitgenössische Künstler:innen erzählen von ihrer Faszination für Soutines Werk und seine Persönlichkeit. Ansonsten schliesse ich mich dem Online-Magazin Republik an: «Schwindel­erregend, aufregend, unbedingt sehenswert.» Noch bis am 1.12.2024 im Kunstmuseum Bern.

SA 31.8. — Kunsthoch

Am Kunsthoch Luzern, dem alljährlichen Aktionstag zu zeitgenössischer Kunst in und um Luzern, wurden 24 Ausstellungen gezeigt. Wir versuchen jeweils, einen Eindruck vom aktuellen Kunstschaffen in unserer Region zu gewinnen, was aber fast unmöglich ist, weil es derart vielfältig ist. Hier die Liste der Ausstellungsorte, die wir abgeklappert haben:

  • sic! Elephanthouse: «The Women Who Came Before Us» von Thi My Lien Nguyen — multimediale Installation über Vietnamesinnen, die ihre Esskultur nach Europa gebracht haben (noch bis 12.10.)
  • Redaktion _957 Indipendendent Art Magazine: Mit Heft #166 «Ice Calving» und der Ausstellung in der Redaktion bringt Lukas Geisseler Datenrecherche zu Klimaerwärmung und das Schmelzen der Gletscher künstlerisch zusammen. (Release am 31.8.)
  • Parkplatzzone Redaktion: Die 8 grossformatigen Plakate «Traurige Tropen – Serengeti Blues» von Charles Moser setzen sich mit dem „Homo safariensis“ auseinander und sind jederzeit zu besichtigen. (seit 31.8.)
  • Galerie Kriens: Zusammen mit ISTANBULUZERN präsentiert die Ausstellung «ab auf den Pilatus» über 70 Werke von gut 20 Kunstschaffenden zu unserem Hausberg (nur noch bis 15.9.)
  • KALI Gallery: ist immer für eine Überraschung gut, zeigt «Elements of Time» mit Werken von Barbara Davi, Michele Gabriele, Maya Hottarek und Kristof Kintera (noch bis 4.10.)
  • B74 Raum für Kunst: In der Gruppenausstellung «Paths of Glory III» beleuchteten Künstler:innen unterschiedliche Facetten des Ruhms. (bereits vorbei)
  • Bau 745 Viscosistadt: «SHOUTOUT #6» — jeweils am Kunsthoch zeigen die Studierenden des Bachelor Kunst + Vermittlung der HSLU aktuelle Arbeiten. (nur am 31.8.)
  • akku Kunstplattform: Die Einzelausstellung «Neue Schweizer Aussichten» von Marvan Bassiouni präsentiert Ausblicke aus den Fenstern von Schweizer Moscheen in die nähere und weitere Umgebung — überaus interessant und irritierend. (noch bis 6.10.)
  • (ort) Raum für Performance: Doppelrelease zweier Publikationen bei Existenz und Produkt: «Helene & Maria» (zur Performance von Judith Huber, vgl. youtube) und «ZUSAMMEN zwischen uns und überhaupt» (zum Projekt von Judith Huber & Angela Hausheer, vgl. arttv.ch). Gefeiert wurde mit Lesungen aus den beiden Publikationen sowie von Texten auf der Plattform APRES PERF — Versuche, vergängliche Performances textlich festzuhalten (nur am 31.8.)

SO 1.9. — Matinée-Lesung in der Ausstellung

Wer diese Matinée-Lesung besuchte, erhielt dreierlei: erstens neue Texte der beiden Krienser Autoren Heinz Stalder und Pablo Haller, zweitens aktuelle Arbeiten des Luzerner Künstlers Niklaus Lenherr und drittens einen Einblick in die Büroräumlichkeiten von Mesch (hoch über den Dächern von Luzern) sowie einen tollen Ausblick von der Dachterrasse. Heinz Stalder machte eine Vorablesung aus seinem Buch Veilchenblau, das im November in der edition bücherlese erscheint, und Pablo Haller las aus seinen performativen Texten.

In der Kunstausstellung leise reise in der Webagentur Mesch zeigt Niklaus Lenherr aktuelle Werke. Sie dauert noch bis Sonntag, 5. Oktober 2024, und ist auf Voranmeldung zu besichtigen (041 210 60 60). Lenherrs Werke bauen oft auf geometrischen Formen auf, sind konzeptuell durchdacht und wirken manchmal etwas streng. Bei Mesch ist aber auch eine Serie von Werken mit dem Titel «Wolken-Bügel» zu sehen, die auf Fliesspapier entstanden sind und eine ganz andere Seite von Niklaus Lenherr zeigen: eine grosse Experimentierfreude verbunden mit einer gehörigen Portion Schalk und der Bereitschaft, unerwartete Entwicklungen zu akzeptieren.