Auch fürs Schweizer Fernsehen gilt: Das Beste kommt immer am Schluss. In diesem Fall nach Mitternacht, also heute um 00.13 Uhr. Beim Zappen bin ich auf Bad Boy Kummer gestossen, ein filmisches Portrait über den Schweizer Journalisten Tom Kummer, der über 50 Interwiews mit Hollywood-Grössen, wie Sharon Stone, Sean Penn oder Bruce Willis, fälschte. Ein Film über die Grenze zwischen Realität und Fiktion, über Fake und Remake, sowie die Frage, wie einer jahrelang eine ganze Branche zum Narren halten konnte.
Der Dokumentarfilm Bad Boy Kummer von Miklós Gimes, Regie (CH/D 2010, 92 Min., HD, Schweizerdeutsch/D/E) ist aus rechtlichen Gründen leider nicht mehr auf CH:Filmszene von SRF nachzusehen, aber als hier als DVD erhältlich.
Der im Film portraitierte Tom Kummer war schon vieles: Tennistalent, Künstler „Skapoda“, Kriegsreporter, Borderline-Journalist und Hollywood-Korrespondent. Doch berühmt wurde er mit seinen ausführlichen, aber allesamt gefaketen Interviews, mit denen er die Stars neu erfand. Vier Jahre lang belieferte Kummer seriöse Blätter in Deutschland und der Schweiz, bis er aufflog. Nach wie vor lebt er mit seiner Familie in Los Angeles und ist jetzt Trainer für Kleinfeldtennis.
Der Filmregisseur, Miklós Gimes, war damals, als Kummer die Stars in seiner lebhaften Fantasie aufpeppte, Vizechef der Wochenend-Zeitungsbeilage Das Magazin und als solcher Abnehmer der erstunkenen und erlogenen Interviews aus dem glamourösen Hollywood. Herauszufinden, warum er dem Lügenbaron von LA diese Geschichten abgekauft hatte, war möglicherweise seine Motivation für diesen Film.
Ich mag mich an diese gut gemachten Geschichten erinnern, für die Kummer viel Lob bekam. Ich dachte: Unglaublich, was der alles aus diesen Promis rausholt. Aber nie wäre ich darauf gekommen, dass sich Kummer die interessanten Details aus dem Leben der Stars nur aus den Fingern gesogen hat. In einem Interview mit dem Tagi sagte er 2007:
„Ich habe im Fall von Pamela Anderson versucht, eine tiefere Wahrheit auf die Ware zu projizieren. Denn das ist doch der Starkörper: Das schönste Gefäss, das wir für unsere Träume finden können. Träume sind doch kein Betrug.“
Und im Film sagt er entschuldigend, dass es ihn, als er nach LA kam, getroffen habe, wie die Leute hier ihre Fiktion als Wahrheit vermitteln und wie das Fernsehen die Wirklichkeit verfremdet. Während man in Europa den Nachrichten in einem gewissen Sinn noch trauen könne, seien sie hier mehr eine Inszenierung von Wirklichkeit als die Wirklichkeit schlechthin. Er mache mit seinen „gefundenen“ Interview-Antworten das banale Leben dieser Stars interessanter als es eigentlich wäre. So lässt er Sharon Stone von lesbischen Fantasien berichten, Sean Penn über Kierkegaard schwadronieren und Nicolas Cage einen Satz von Rainer Werner Fassbinder zitieren: „Das einzige, was ich im Leben akzeptiere, ist Verzweiflung“. Bei Tom Kummer werden die Stars feinfühliger, philosophischer und gescheiter als sie sind — und die Fiktion ist besser als die Realität. Letztlich sei er die Avantgarde eines Journalismus, in dem es keinen Unterschied zwischen Realität und Fiktion mehr gebe.
Sicher hat es Tom Kummer mit seiner „sehr subjektiven“ Berichterstattung zu weit getrieben, trotzdem ist es schade, dass dieser postmoderne Märchenerzähler das Leben der Hollywoodstars nicht mehr aufpeppen darf, hat doch der geniale Schreiberling die Realifiction zu einem neuen und unterhaltsamen Genre entwickelt — Hollywood und seine Stars sind definitiv langweiliger, seit Bad Boy Kummer nicht mehr über sie fantasieren darf.
1. Januar 1970 um 0:00 Uhr
Er schreibt immer noch hervorragend, Bad Boy Kummer, der Fakten-Poet aus L.A. — 2009 zum Beispiel publiziert er im Wochenmagazin Der Freitag einen ausgezeichneten Text über Facebook als Plattform der Selbstinszenierung und Selbstbeobachtung. Die überaus lesenswerte Reportage „Moritz trinkt immer noch“ ist hier nachzulesen.
Er habe noch nicht herausgefunden, wie er die ständigen Benachrichtigungen von FB abstellen könne, deshalb vibriere sein iPhone pausenlos in seiner Brusttasche, schreibt Kummer, und über den Umgang seiner „ehemaligen“ Journalistenkollegen mit Facebook:
„Ein cooler Blick in den Rückspiegel auf der Fahrt durch den Alltag. Wie alte Gefangene eines längst überholten Wahrheitsbegriffs laufen sie auf FB als Ästheten dieses Alltags zu Höchstform auf: Erfinde dich neu! Es gibt eben kaum etwas, was tiefer bewegt als das eigene Leben, sagte schon Arthur Schnitzler. Kontrolle. Check. Real ist – so „Jean-Luc Godard“ auf seiner gefakten FB-Seite –, was zwischen den Dingen ist und nicht das Ding selbst.“
Mich würd’s nicht wundern, wenn sich herausstellt, dass Tom Kummer damals Godards FB-Seite höchstselbst gefakt hat, denn: Wenn’s nicht wahr ist, ist’s wenigstens gut erfunden.
30. August 2014 um 9:37 Uhr
„die Avantgarde eines Journalismus, in dem es keinen Unterschied zwischen Realität und Fiktion mehr gebe“
Das ist gewiss genau das, was wir gerade brauchen.